Kunst hat WUMM – Die Kunsthalle und ihre Namensgebung als Ort zivilgesellschaftlicher Debatten und künstlerischer Interventionen

Ein Beitrag von Dr. Irene Below

Kunsthistorikerin, Werther

Impulsvortrag im Rahmen des Symposiums
Gestern. Heute! Morgen?
Vom Museum der Spätmoderne, seinen Geschichte(n) und seiner Zukunft, Denkmalschutz, dem „Dritten Ort“ oder Klimakiste versus Klimakrise.
Teil I, 21.+ 22. April 2023
Gute Geister, Böse Geister: Den Geschichten der Kunsthalle ins Auge sehen

Foto von einem grafischen Schriftzug in einem goldenen Rahmen. Dort steht: Kunst hat Wumm
Kupo (Projektgruppe Kunst und Politik) 1971, Linoschnitt 49,5 x 34,5 cm

Mit dem Neubau der Bielefelder Kunsthalle, der Widmungstafel des Stifters und Hausherrn im Eingangsbereich „Den Opfer – des zweiten Weltkrieges -unserer Stadt – unter ihnen – mein zweiter Vater –  Richard Kaselowky – – – Rudolf August Oetker“, der Benennung des Hauses nach ihm (ohne Nennung der Opfer des NS-Regimes) und dem ammlungsschwerpunkt Expressionismus wurde die Täterschaft des Oetkerkonzerns und seiner Protagonisten in der Zeit des Nationalsozialismus zu einem sinnstiftenden Opfer für die Stadtgesellschaft umgedeutet. Dagegen protestierten Studierende, Künstler*innen, Wissenschaftler*innen und engagierte Bürger*innen seit 1968 zu unterschiedlichen Anlässen in mehreren Schüben und in vielfältigen Formen und Medien. Mein Beitrag stellt die Aktionen, Proteste und Interventionen in diesem 50 Jahre währenden Prozess vor – Flugblätter, offene Briefe und Demonstrationen und als Reaktion darauf abgesagte Eröffnungsfeierlichkeiten[1] (1968), Proteste der Studierenden der Werkkunstschule nach der Zensur des Ausstellungsbeitrags der Projektgruppe Kunst und Politik mit einem Flugblatt Comic, Linolschnitten wie „Kunst hat Wumm“, Happenings und politischen Veranstaltungen (1971), Umbenennungsforderungen in Käthe-Kollwitz-Haus und ein ohne Diskussion abgelehnter Antrag dazu von den Grünen/Bunte Liste im Stadtrat (1985), Radiosendungen im Bürgerfunk zum Architekten Philipp Johnson und zu Richard Kaselowsky, alternative “ausufernde Feierlichkeiten“ rund um die Kunsthalle zum 30. Geburtstag mit Geburtstagstorte, einer zweiten Gedenktafel, dem Angebot von Multiples „Pizza Richard Kaselowsky“ und „Pizza Ida Kaselowsky“ und den Unterschriftenlisten für einen Einwohnerantrag zur Umbenennung, woraufhin der Stadtrat die Umbenennung in Kunsthalle Bielefeld beschloss (1998). Mit dem Austausch der Widmungstafel im Eingangsbereich vor dem 50. Geburtstag (2018) droht diese andere von Phantasie und Leidenschaft für die Kunst beflügelte, turbulente Geschichte der Kunsthalle in Vergessenheit zu geraten und damit das Engagement von Schüler*innen, Studierenden, Künstler*innen, Wissenschaftler*innen und der Stadtgesellschaft insgesamt für ihre Kunsthalle.   Viele der von ihnen aufgeworfenen Fragen und Themen sind weiter aktuell. Wer hat das Sagen / wer ein Mitsprachrecht beim Bau und dessen immer wieder blockierter Erweiterung, bei der Ausrichtung der Sammlung und den Ausstellungen sowie bei den pädagogischen Konzepten?  Welchen Bau und welche Strukturen braucht ein radikaldemokratisches Museum in diesen Krisenzeiten, das Partizipation der diverser gewordenen Stadtgesellschaft zum Ziel hat und emanzipatorische Auseinandersetzungen ermöglicht?

[1] https://historischer-rueckklick-bielefeld.com/2008/09/01/01092008/

Schwarz-weiß Foto von einer Menschengruppe mit Protestschildern an Stöcken vor der Kunsthalle Bielefeld. Alle tragen typische Kleidung der 60er Jahre.
Demonstration vor der Kunsthalle Bielefeld am 27. September 1968, Fotograf: Günter Rudolf, Stadtarchiv Bielefeld
Schwar-weiß Foto von zwei Personen, die ein großes Protestbanner halten. Es hat die Aufschrift: Kein Nazi-Name für die Kunsthalle: Käthe-Kollwitz-Haus statt Kaselowsky. Das letzte Wort ist mit einem X durchgestrichen.
Beispiel für eins der Protestplakate aus den 1980er Jahren.

In den 80er Jahren forderten linke Gruppen in Bielefeld die Umbenennung der Bielefelder Kunsthalle in Käthe-Kollwitz-Haus, und die Fraktion der Grünen scheiterte mit einem entsprechenden Antrag im Rat.

Den Mitschnitt des gesamten Vortrags könnt ihr euch hier ansehen.

Etwas ältere weiße Frau mit schulterlangen blonden Haaren und einer Brille. Sie sitzt auf einem Stuhl, ein Mikrofon in der Hand.
Dr. Irene Below, Foto: Ivo Hammer (Ausschnitt)

Studium der Kunstgeschichte, Archäologie und Germanistik in München, Köln, Florenz und Berlin. Promotion an der FU Berlin (1971). Seit 1970 Planerin und von 1974 bis 2004 Dozentin am Oberstufen-Kolleg der Universität Bielefeld. Seither freiberufliche Tätigkeit als Dozentin, Kuratorin und Publizistin. Von 1988 bis 1999 Koordinatorin der AG Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts in der Sektion „Frauenforschung in der Kunstwissenschaft“ im Ulmer Verein für Kunst- und Kulturwissenschaft. 2000 Gründungsmitglied des frauenkunstforum-owl e.V.  (fkf-owl), jetzt Künstlerinnenforum Bielefeld-OWL e.V.  und 2001 Initiatorin der „ein-seh-bar – sichtbares künstlerinnenarchiv ostwestfalen-lippe“. Seit 2000 aktiv in der AG Frauen und Exil der Gesellschaft für Exilforschung.

Texte zu Bau und Namen der Kunsthalle Bielefeld:                                                                        _

Die Kunsthalle Bielefeld – ein „großer Gedenkstein“ für Täter und Opfer? in: Kunst und Politik, Jahrbuch der Guernica-Gesellschaft, 2, 2000, S. 175-196.
http://archiv.vm2000.net/45/kunsthalle.below.site/kunsthalle.html

„Um Schaden von unserer Stadt und allen Beteiligten abzuwenden“ Die symbolische Ordnung der Geschlechter im Streit um die Bielefelder Kunsthalle, in: FKW Zeitschrift für Geschlechterforschung und visuelle Kultur 27, 1999, S. 6-24
https://www.fkw-journal.de/index.php/fkw/article/view/685

Weitere Blogbeiträge zum Architektursymposium   

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Das Werbeplakat des Architektursymposiums mit Schrift in der Ecke links unten: Teil 1, 21. + 22. April.