Architektur

Zwischen Moderne und Postmoderne

Das Gebäude

Die Kunsthalle Bielefeld wurde im Jahr 1968 nach Plänen des US-amerikanischen Architekten Philip Johnson (1906-2005) erbaut. Sie ist sein einziger Museumsbau in Europa und ein architekturhistorisches Denkmal. Das ikonische Bauwerk markiert einen ersten frühen Wendepunkt Johnsons hin zur postmodernen Formensprache.

Die weit ausladenden Fensterfronten und der offene Grundriss mit eingelassenen Wandscheiben spiegeln noch die Grundsätze der Moderne und des „International Style“ der 1920er und 30er Jahre. Diesen Begriff hat Johnson als Theoretiker gemeinsam mit dem Architekturhistoriker Henry-Russell Hitchcock geprägt.

Der kubische Museumsbau aus rotem Mainsandstein ist voller Spannungen: Kompakte Formen wechseln sich mit offenen Durchblicken ab. Der massive obere Gebäudeteil ruht auf einer Struktur von halbrund abgeschlossenen Wandscheiben und asymmetrisch angeordneten Halbsäulen. Mithilfe dieser Elemente hielt Johnson zwar noch an dem für die Moderne typischen quaderförmigen Bau mit glatten Oberflächen fest, führte jedoch zeitgleich mehr plastische Baukörperlichkeit ein.

Vom offenen Grundriss zur Demokratisierung der Kunst

Der offene Grundriss mit ineinanderfließenden Räumen lässt vielfältige, stets wechselnde Sichtachsen entstehen. Prinzipien wie Durchlässigkeit, Verbindung und Dialog werden dadurch betont. Auch der starke Bezug nach Außen durch zahlreiche große Fensterfronten hin zur Stadt und zum öffentlichen Skulpturenpark vermittelt Offenheit und Transparenz. Er ermöglicht außerdem stetige Bewegung.
Das Gebäude umfasst mit einer etwa 1.200qm großen Ausstellungsfläche drei oberirdische und zwei unterirdische Etagen. Die Eingangshalle mit Café und angrenzendem Raum für die Kunstvermittlung sowie die erste und zweite Ausstellungsetage liegen über der Erde. In den unteren Geschossen befinden sich ein Film- und Vortragssaal, eine öffentlich zugängliche Bibliothek und die Verwaltung, die durch ein Foyer erschlossen werden.

Mit dem Entwurf von Philip Johnson gehörte die Kunsthalle Bielefeld zu einem der ersten Museumsneubauten der damals noch jungen Bundesrepublik. Ermöglicht wurde der Neubau maßgeblich durch eine großzügige Spende seitens der Familie von Rudolf-August Oetker, der gemeinsam mit dem damaligen Direktor Joachim Wolfgang von Moltke Johnson für das Projekt gewinnen konnte.
Mit der offenen Raumorganisation der Ausstellungsflächen, die dem Besucher beim Rundgang keine klare Abfolge vorgeben, und der damals in Deutschland revolutionären Einführung eines Raums für Pädagogik steht das Haus für die damalige Vorstellung einer „Demokratisierung der Kunst“ ein.

Der Architekt

Das Gesicht eines sehr alten Mannes mit einer Brille mit dickem rundem Gestell. Auf der Seite eines Haltestellenhäuschens, von hinten beleuchtet. Dahinter die Kunsthalle Bielefeld.
Philip Johnson 1998, Fotoporträt von Satoshi Saikusa, Teil von Dennis Adams' Bus Shelter XII, 2018. Foto: Philipp Ottendörfer

Philip Johnson (1906-2005) war ein US-amerikanischer Architekt, Architekturkritiker und Mitbegründer der Abteilung für Architektur und Design am Museum of Modern Art (MoMA), New York. Er war von 1932–1988 in unterschiedlichen Funktionen am MoMA tätig: als Direktor der Abteilung (zwischen 1932-34 und 1949-1954) und als Kurator. In der Funktion des Trustee und des Mäzenen ermöglichte er dem MoMA zeitlebens zahlreiche Ankäufe und schenkte dem Museum wichtige Werke aus seiner eigenen Sammlung. Seine gemeinsam mit Henry-Russell Hitchcock verfasste Publikation „The International Style: Architecture Since 1922“ (1932) war begriffsbildend.

Als Architekt hat Johnson wie wenige andere mehrere epochale Wechsel nicht nur mitgemacht, sondern maßgeblich mitbestimmt und nahm sowohl im Diskurs der Moderne und Spätmoderne wie auch in der Postmoderne eine maßgebende Rolle ein. Mit seinem Glass House (1947-49) in New Canaan gelang ihm ein erster internationaler Durchbruch, 1953 war er für den Sculpture Garden des MoMA verantwortlich, mit dem „AT&T Building“, New York (1980-84) oder dem „Lipstick Building“, New York (1986), hat er ikonische Werke der Postmoderne geschaffen.

Kontroverse um Philip Johnson

Beeindruckt vom nationalsozialistischen Regime Deutschlands, welches er auf mehreren Reisen durch Europa in Form von Paraden und Aufmärschen miterlebt hatte, kündigte Johnson 1934 seine Anstellung im MoMA mit der Vision, selbst Kultusminister in einer von US-amerikanischen Rechtspopulisten angeführten Regierung unter Huey Long zu werden. Johnson war durch die Publikationen von Aufsätzen daran beteiligt, in den USA faschistische Entwicklungen voranzutreiben. Auch lieferte er noch 1938 dem Deutschen Reich während einer Polenreise Informationen über den Zustand der polnischen Armee. Sein Wechsel von der Kunst zur Politik wurde öffentlich bemerkt, 1940 wurde seine Präsenz im Umfeld US-amerikanischer Faschisten in einem langen Artikel in Harper´s Magazine illustriert, im 1941 erschienenen Bestseller „Berlin Diary“ (William Shirer) wurde er als „American fascist“ und Kollaborateur beschrieben. Er wurde vom FBI überwacht und befragt, im Gegensatz zu damaligen Weggefährten wurde Johnson jedoch nie festgenommen oder angeklagt.

In der Folge wechselte Johnson abrupt seinen Kurs und widmete sich dem vertieften Studium der Architektur an der Graduate School of Design, Harvard University. 1947 kehrte er an die Architekturabteilung am MoMA zurück. Seine politische Vergangenheit hat ihn zeitlebens verfolgt, in den 1990er Jahren gestand er sie in einem Radiointerview als einen „unverzeihlichen persönlichen Fehltritt“ ein.
Nach der neuerlichen Aufarbeitung von Johnsons politischer Vergangenheit durch Marc Wortman (2016) formierte sich im Umfeld von „Black Lives Matter“ die „Johnson Study Group“, ein Zusammenschluss von Architekten und Kulturschaffenden, die das MoMA aufforderten, die 1984 eingeführte Benennung einiger Galerien nach Philip Johnson aufzugeben. Seither wird über den richtigen Umgang mit dem Vermächtnis von Philip Johnson diskutiert. Die Harvard University hat das „Philip Johnson Thesis House“, ein von Johnson während seines Studiums errichtetes Gebäude, zu „9 Ash Street“ unbenannt.

Das Gesicht eines sehr alten Mannes mit einer Brille mit dickem rundem Gestell. Auf der Seite eines Haltestellenhäuschens. Dahinter die Kunsthalle Bielefeld.
Philip Johnson 1998, Fotoporträt von Satoshi Saikusa, Teil von Dennis Adams' Bus Shelter XII, 2018. Foto: Philipp Ottendörfer

In Bielefeld steht seit 2018 die Skulptur “Bus Shelter XII. Shattered Glass / The Confessions of Philip Johnson” von Dennis Adams vor der Kunsthalle. Adams setzt sich darin kritisch mit der ambivalenten Persönlichkeit Johnsons auseinander. Rund 500 „Bekenntnisse“ (Confessions) hat Dennis Adams dem Architekten in den Mund gelegt, die auf zwei Bildschirmen abgespielt werden.

Zudem war die kritische Auseinandersetzung mit dem Architekten der Kunsthalle Teil des Architektursymposiums 2023. Im Kunsthalle Bielefeld Journal sind Video-Mitschnitte aller Vorträge veröffentlicht, z. B.

Philip Johnsons Bielefelder Kunsthalle von 1968: eine Herausforderung für die deutsche Architekturkritik von Prof. Dr. Fritz Neumeyer
The Passions of Philip Johnson (Die Leidenschaften Philip Johnsons) von Prof. Dr. Jeffrey Lieber
Moralkommunikation in der Architektur. Über Philip Johnson und Andere von Prof. Dr. Stephan Trüby

Literaturhinweise zum Thema finden Sie am Ende des Texts.

Kontroverse um die Namensgebung der Kunsthalle

Zu ihrer Eröffnung im Jahr 1968 hieß das Museum „Richard-Kaselowsky-Haus. Kunsthalle Bielefeld“. Mit dieser Namensgebung ehrte Rudolf-August Oetker, der Stifter der Kunsthalle, seinen Stiefvater Richard Kaselowsky. Dieser hatte sich zeitlebens für die Kultur in der Stadt Bielefeld eingesetzt. Kaselowsky war jedoch auch Mitglied der NSDAP und Mitglied sowie Spender im „Freundeskreis Heinrich Himmler“, einem strategischen Netzwerk zwischen Wirtschaft und Regime.
Vor diesem Hintergrund führte die Namensgebung bereits vor der Eröffnung zu Protesten und zur Absage der feierlichen Einweihung am 27. September 1968.

Die Debatte um die Namensgebung der Kunsthalle Bielefeld ist in den Jahren danach immer wieder neu entflammt, begleitet von zivilgesellschaftlichen Protesten, Aktionen, künstlerischen Interventionen und politischen Veranstaltungen von Studierenden, Künstler*innen, Wissenschaftler*innen und engagierten Bürger*innen der Stadtgesellschaft. 1985 wurde eine Umbenennung der Kunsthalle in „Käthe-Kollwitz-Haus“ gefordert. Nach fast 30 Jahren beschloss der Rat der Stadt Bielefeld 1998 die Streichung des kontroversen Namens. Die Widmungstafel im Eingangsbereich der Kunsthalle aus dem Jahr 1968 wurde aufgrund eines weiteren Ratsbeschlusses im August 2017 durch einen Text ersetzt, in dem Richard Kaselowsky nicht mehr namentlich erwähnt wird.

Die kritische Auseinandersetzung mit diesem Thema war ebenfalls Teil des Architektursymposiums 2023. Im Kunsthalle Bielefeld Journal sind Video-Mitschnitte aller Vorträge veröffentlicht, z. B.

Wiederholt endgültig „ausdiskutiert“!? – Biographische und erinnerungskulturelle Beobachtungen zu Richard Kaselowsky von Dr. Jochen Rath
Kunst hat WUMM – Die Kunsthalle und ihre Namensgebung als Ort zivilgesellschaftlicher Debatten und künstlerischer Interventionenvon Dr. Irene Below

Zusätzlich können bei der Tour durch den Skulpturenpark an der Station ,Aktion Widerstand Protest. Namensstreit um die Kunsthalle‘ vertiefende Interviews mit beiden Vortragenden sowie zahlreiche historische Fotografien rund um den Namensstreit entdeckt werden.

Literaturhinweise zum Thema finden Sie am Ende des Texts.

Generalsanierung und Erweiterung

Dem denkmalgeschützten Gebäude der Kunsthalle Bielefeld steht ab Mitte 2025 eine umfassende Generalsanierung und Erweiterung bevor. Das Museum nutzt diese Gelegenheit, die Geschichte des Hauses mitsamt ihrer Kontroversen eingehend nach heutigem Forschungsstand zu diskutieren. Der bevorstehende Transformationsprozess bietet die Möglichkeit, Anpassungen an heutige und künftige Erfordernisse im Ausstellungswesen vorzunehmen und die Infrastruktur des Museums unter ökologischen Gesichtspunkten zu überholen.
Ein dreiteiliges Symposium im Jahr 2023 schafft erste Ausgangspunkte für die kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte und Architektur der Kunsthalle sowie ihrer Transformation. Video-Mittschnitte zu allen Vorträgen sind ebenfalls über die Webseite zum Architektursymposium oder direkt im Kunsthalle Bielefeld Journal zu finden.

Die Kunsthalle Bielefeld ist Teil der Architekturroute Kunstmuseen.

Weiterführende Literatur

zu Philip Johnson:

zum Namensstreit:

Gallerie

Die Fassade eines rechteckigen Gebäudes aus rotem Sandstein. Von der Straße aus ist der Eingang mit raumhohen Fenstern zu sehen. Davor links ein kleines Bushaltestellenhäuschen, rechts eine sitzende Figur aus Bronze auf einem Sockel.
Kunsthalle Bielefeld. Foto: Philipp Ottendörfer
In einer Gebäudenische an einer Ecke eine aufrecht stehende filigrane Stahlskulptur. Eine längere senkrechte Ypsilonform, an deren Spitzen zwei weitere Stahlelemente mit Spitzen.
Fassadendetail der Kunsthalle Bielefeld mit George Rickeys "Two Lines Oblique down". Foto: Philipp Ottendörfer
Ecke der Kunsthalle mit Einblick ins Nebentreppenhaus und davor einer Skulptur auf Sockel.
Fassadendetail der Kunsthalle Bielefeld mit Rodins "Denker". Foto: Philipp Ottendörfer
Viele Sitzreihen, Blick auf eine Bühne mit einem Vorhang, dessen Farben sich von Gelb und Orange über grüne und graue Töne nach Dunkelblau ändern. Die Deckenbeleuchtung besteht aus vielen einzelnen Glühbirnen, die um jede Birne einen hellen Lichtpunkt ergeben.
Vortragssaal der Kunsthalle Bielefeld. Vorhang: Colors of New Canaan, Olaf Nicolai, 2013
Wuchtig wirkende Fassade, streng geometrisch, mit Skulptur davor.
Fassadendetail der Kunsthalle Bielefeld. Rechts der "Denker" von Auguste Rodin. Foto: Philipp Ottendörfer
Die Kunsthalle Bielefeld, Rückseite, durch einen Baum hindurch fotografiert. Unten eine Eingangstür, daneben schmale hochkant gesetzte Fenster, darüber eine große, zwei Etagen verbindende Fensterfläche.
Fassadendetail der Kunsthalle Bielefeld, Rückseite. Foto: Philipp Ottendörfer
Eine zurücktretende Fensterfront, darüber massiv die Sandsteinfassade.
Fassadendetail der Kunsthalle Bielefeld. Foto: Philipp Ottendörfer
Ecke des würfelförmigen Gebäudes der Kunsthalle Bielefeld.
Ansicht der Kunsthalle Bielefeld. Rechts der "Denker" von Auguste Rodin. Foto: Philipp Ottendörfer