Wiederholt endgültig „ausdiskutiert“!?
Biographische und erinnerungskulturelle Beobachtungen zu Richard Kaselowsky

Ein Beitrag von Dr. Jochen Rath

Stadtarchivdirektor des Stadtarchiv und der Landesgeschichtlichen Bibliothek Bielefeld

Impulsreferat im Rahmen des Symposiums
Gestern. Heute! Morgen?
Vom Museum der Spätmoderne, seinen Geschichte(n) und seiner Zukunft, Denkmalschutz, dem „Dritten Ort“ oder Klimakiste versus Klimakrise.
Teil I, 21.+ 22. April 2023
Gute Geister, Böse Geister: Den Geschichten der Kunsthalle ins Auge sehen

Still ist es geworden um Richard Kaselowsky (1888-1944). Mit einem spektakulären und bundesweit beachteten Start 1968 diskutierten Familie, Politik und Stadtgesellschaft, Kulturszene und Wissenschaft in Wellen bis 2017 engagiert und konträr über den Bielefelder Oetker-Teilhaber, NSDAP-Angehörigen und Mitglied des Freundeskreises Reichsführer SS (Heinrich Himmler) und seine Deutung.

Foto von einer Büste, die den Kopf eines mittelalten Mannes zeigt, mit zurückgekämmtem, mittellangem Haar.
Die Büste zeigt Richard Kaselowsky, Foto: Günter Rudolf, 1968 Stadtarchiv Bielefeld
Porträt eines mittelalten weißen Mannes in einer Uniform aus der Zeit des deutschen Nationalsozialismus.
Richard Kaselowsky (1888-1944), Foto: Stadtarchiv Bielefeld

Als die Kunsthalle 1968 eröffnet und nach Kaselowsky benannt werden sollte, regte sich unmittelbar vor der Einweihung Widerstand gegen diese Widmung. Zunächst waren es linke Jugendliche, die den Namensgeber aufgrund seiner NS-Vergangenheit als ungeeignet ablehnten, überregionale Medien, Wissenschaft und aufgeschlossene Teile der Zivilgesellschaft schlossen sich an. Politik, Verwaltung, Lokalpresse, Familie und Unternehmen Oetker sowie ein konservatives Kultur-Establishment hielten dagegen unkritisch an der Benennung fest, bedienten sich dabei auch undemokratischer Mittel.

Zwischen dem stadtgesellschaftlichen Skandal 1968 und den erinnerungskulturellen Debatten bis 2017 verschoben sich Meinungen und Mehrheiten mit neuen Anlässen und Argumenten immer weiter: Kunsthallen-Name, Straßenbenennung und zuletzt Kaselowskys Erwähnung auf der Gedenktafel im Kunsthallen-Foyer.

Schwarz-Weiß Foto von einem Mann, der eine steinerne Gedenktafel hält. Aufschrift: Den Opfern des zweiten Weltkrieges unserer Stadt, unter ihnen mein zweiter Vater Richard Kaselowsky.
Frühere Version der Gedenktafel, Foto: Günter Rudolf, Stadtarchiv Bielefeld
Foto einer in die Wand eingleassenen Gedenktafel. Aufschrift: Im Gedenken der Opfern des zweiten Weltkrieges unserer Stadt, hat die Familie Oetker den Bau dieser Kunsthalle ermöglicht.
Gedenktafel an der Kunsthalle, wie sie seit 2017 aussieht.

 

Das Nachgeben der Familie Oetker auf Forderungen nach einer vollständigen Tilgung des Namens Kaselowsky auf der Tafel 2017 entzog dem immer wieder lebendigen stadtgesellschaftlichen Diskurs um seine Person den letzten sichtbaren Ort. Die öffentliche Auseinandersetzung um ihn wurde damit beendet, bestenfalls zur Disziplin der Geschichtswissenschaft, auf jeden Fall vollends akademisiert. Das mag seitens der Familie beabsichtigt gewesen, seitens der Aktivisten vielleicht nicht erkannt worden sein. Der Fokus hat sich seither verschoben: Weg von Kaselowsky und Oetker zu einer Betrachtung der Formen und Formate der Debatten. Über Richard Kaselowsky spricht derzeit niemand mehr, über die um ihn geführten Debatten die Spezialisten und noch, mit einem gelegentlichen Hauch von Nostalgie, die früheren Protagonisten. Chancen für einen Erhalt der Debatte mit notwendigen Kontextualisierungen wurden verpasst.

„Es gibt vielerlei Lärme. Aber es gibt nur eine Stille.“ (Kurt Tucholsky)

Den Mitschnitt des gesamten Vortrags könnt ihr euch hier ansehen.

Porträt eines mittelalten weißen Mannes mit kurzen grauen Haaren und prägnanten Augenbrauen. Er trägt ein Graues Sakko, blaues Hemd und helle, gestreifte Krawatte.
Dr. Jochen Rath, Foto: Ralph Pache

Dr. Jochen Rath, geb. 1967 in Lemgo. Magister-Studium der Neueren und Neuesten Geschichte, Historischen Hilfswissenschaften und Politikwissenschaften an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. DFG-Stipendiat im Rahmen des Graduiertenkollegs „Staatlichkeit in Mittelalter und Neuzeit“ an der Justus-Liebig-Universität. 1997 Promotion mit einer Arbeit über Handlungsspielräume der Hanse(städte) in den Konflikten Braunschweigs mit den Welfen im 17. Jahrhundert. 1999-2001 Archivreferendariat am Landeshauptarchiv Koblenz, Rheinland-Pfalz, und an der Archivschule Marburg. 2001 bis 2003 Archivrat am Landeshauptarchiv Koblenz (u. a. Leitung der Landeskoordinierungsstelle zur Nachweisbeschaffung für Zwangsarbeiter). 2003-2006 Leitung des Kreisarchivs Warendorf. Seit 2006 Leitung Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld. Veröffentlichungen zur Stadt- (u. a. 67 Online-Beiträge; Buch: Bielefeld – Eine Stadtgeschichte, 2019), Regional-, Hanse- und NS-Geschichte, Fachbeiträge zum Archivwesen. Mitglied der Historischen Kommission für Westfalen sowie des Beirats des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg e.V.

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Gallerie

Das Werbeplakat des Architektursymposiums mit Schrift in der Ecke links unten: Teil 1, 21. + 22. April.