Künstlerinterview mit Lars Rosenbohm
mit Fragen von der Kuratorin Felicitas von Richthofen, Januar 2025
Die Ausstellung „Es sind Möglichkeiten so wahr und unwahr“ im Foyer der Kunsthalle Bielefeld zeigt vom 15.03.25 bis 15.6.25 aktuelle Arbeiten des Bielefelder Künstlers Lars Rosenbohm (*1971 in Lemgo). In diesen begegnen sich Köpfe, Augen, Münder, organische Strukturen und körperliche Fragmente in einem Spiel aus Präsenz und Verhüllung. Wogende Haare, pulsierende Adern, innere Organe, Zellen und amöbenhafte Wesen verweben sich mit Tentakeln, Bakterien, Pflanzen oder Wolken. Kraftvoll auf den Punkt gebracht und zugleich von zerbrechlicher Zartheit durchzogen. Große, geschwungene malerische Gesten breiten sich pulsierend auf der Leinwand aus. Stets dominiert oder gerahmt von tiefem Schwarz. In Übermalungen, Fragmentierungen und Ergänzungen verschmelzen seine Motive zu einer komplexen Bildsprache, die Gegensätze miteinander verbindet, das Ungewisse und Ambivalente in den Vordergrund rückt, weitere Möglichkeiten freigibt und zur individuellen Annäherung einlädt.
Wie fängt alles an?
Alles fängt mit der Leere an. Und damit, dass ich mich immer wieder überwinden muss anzufangen. In den meisten Fällen geht es dann mit einer Linie oder Strichelung los. Bei größeren Formaten kann es auch eine Farbschüttung sein. Oder Farbe, die von hinten durch das Gewebe gepresst wird. Die sich auf der Vorderseite ergebenden Spuren bilden die Grundlage zum Weitermachen.
Wie entwickelst du deine Motive?
Meine Bildmotive entstehen in einem zeichnerisch-malerischen Prozess als Wechselspiel zwischen Formulierung und teilweiser Überdeckung in mal mehr mal weniger transparenten Schichten. Ich reagiere auf das, was davor geschehen ist. Dazwischen liegen Phasen der Beobachtung, aber auch spontane Aktionen. Über die Jahre hinweg habe ich ein Formenvokabular entwickelt, das in Variationen zum Einsatz kommt und die Inhalte unterstützt.
Wie hängen Zeichnung und Malerei zusammen?
Ich würde mich als Künstler beschreiben, der zeichnet und gewisse Elemente und Materialien der Malerei einsetzt. Mal überwiegt das Zeichnerische, mal das Malerische. Innerhalb dieses Hin und Her habe ich meine Sprache gefunden. Die Kontur, die eine Form festigt und das Schwarz der Tusche spielen häufig, eigentlich immer, eine Rolle. Durch die Fläche kann ich etwas zurückdrängen und anderes betonen. In gewisser Weise kläre ich für mich mit Hilfe der Linie und der flächigen Schichten die Situation.
Was sehen wir?
Ich kann sagen, dass mich aus dem prozesshaften Tun gewisse Gegensätze interessieren und eine Ambivalenz zum Ausdruck kommt. Ich zeige und gleichzeitig verdecke ich wieder. Ich kombiniere Erfahrenes und Imaginiertes. Erinnerungen, Aktuelles, Inneres, Äußeres. Ich gebe etwas preis, ich verrätsele. Das Ungewisse, nicht Greifbare beschäftigt mich. Auch Unheimliches. Sich Ausbreitendes. Bewegung, Energie, Festigkeit und Kontrolle. Die Maske oder Verhüllung als Motiv taucht in meinen Arbeiten schon seit Jahren auf. Und damit Wesen irgendwo zwischen Mensch, Tier und Phantasiegestalt. Es sind Fragen an mich selbst.
Was bedeutet der Titel der Ausstellung „Es sind Möglichkeiten so wahr und unwahr“?
Sobald ich mit dem Zeichnen beginne und mich mit dem Entstehenden auseinandersetze, ist das für mich wahr. Obwohl ich Motive formuliere, die meiner Phantasie und meinen Gedanken entspringen und die daher unwirklich sind. Eine Zeichnung ist auch eine Äußerung und die Sichtbarmachung von Entscheidungen, die ich getroffen habe. Der Ausstellungstitel, der aus dem Text eines Freundes über meine Arbeiten stammt, gibt für mich sehr gut wieder, dass eine Gleichzeitigkeit von Gegensätzen in einer Sache, einem Motiv, einem Bild möglich ist. Es gibt nicht nur das Eine oder das Andere. Es muss offen sein. Für die Kunst finde ich das sogar entscheidend. Darin liegt ihre Qualität.
Gibt es eine zentrale Botschaft?
Ich erfahre meine künstlerische Arbeit immer mehr als spielerischen Befreiungsprozess. In der Jurybegründung zur Verleihung eines Kunstpreises wurde geschrieben: „Dabei sind Rosenbohms Zeichnungen geprägt von der anarchischen Haltung des Punks, aber auch von der Vorstellungswelt des Pop, der seine Zeichnungen mit alltäglichen Formen nährt, nicht selten verbunden mit Humor.“ Das hat mir gefallen. Im Grunde ist also alles möglich. Das ist manchmal verunsichernd, vor allen Dingen aber erfrischend. Es geht um Freiheit und Offenheit. Inklusive aller Anstrengungen und Widersprüche.
Rosenbohm erforscht in seinen eindringlichen, mitunter verstörenden Darstellungen den menschlichen Zustand und reflektiert Erfahrungen unserer Zeit. Er stellt Fragen nach Identität, Wahrnehmung und unserer Verbindung zur Natur, zueinander oder uns selbst: Wer sind wir? Was bleibt verborgen? Was zeigt sich erst auf den zweiten Blick?

Biografie
Lars Rosenbohm (*1971 in Lemgo) lebt und arbeitet in Bielefeld. Sein Atelier befindet sich im Künstler*innenhaus Artists Unlimited. Rosenbohms Arbeiten waren u. a. im Museum Marta Herford, der Kunsthalle Bielefeld, dem Kunsthaus Essen, dem Museum Schloss Moyland, dem Saarland Museum, dem Westfälischen Kunstverein, den Kunstvereinen in Bielefeld, Oerlinghausen, Lippstadt, Ludwigshafen, Gütersloh und Lemgo zu sehen. Außerdem in Galerien und Projekträumen in Berlin, Hamburg, Köln, Düsseldorf, Biel/Bienne, Austin, Barcelona, Gent, Kassel, Wuppertal und Osnabrück. Lars Rosenbohm ist mit seinen Arbeiten in den Sammlungen der Kunsthalle Bielefeld, des Marta Herford und der Hansestadt Lünen vertreten. Er hat Stipendien der Kunststiftung NRW, der Aldegrever Gesellschaft Münster, vom Landesverband Westfalen-Lippe, dem Ministerium für Kultur und Wissenschaft NRW und der Stiftung Kulturwerk, Bonn erhalten. 2023 wurde Rosenbohm als Vertreter der Stadt Bielefeld mit dem CityARTists Kunstpreis NRW ausgezeichnet. Für weitere Kunstpreise, wie zum Beispiel den belgischen IKOB Kunstpreis und den Preis der Gütersloher Woldemar Winkler Kunststiftung wurde er nominiert.
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