Philip Johnsons Bielefelder Kunsthalle von 1968:
eine Herausforderung für die deutsche Architekturkritik.

Ein Beitrag von Prof. Dr. Fritz Neumeyer

em. Professsor für Architekturtheoriean an der Technischen Universität Berlin

Impulsreferat im Rahmen des Symposiums
Gestern. Heute! Morgen?
Vom Museum der Spätmoderne, seinen Geschichte(n) und seiner Zukunft, Denkmalschutz, dem „Dritten Ort“ oder Klimakiste versus Klimakrise.
Teil I, 21.+ 22. April 2023
Gute Geister, Böse Geister: Den Geschichten der Kunsthalle ins Auge sehen

Der Bau der Bielefelder Kunsthalle stellte die deutsche Architekturkritik vor eine Herausforderung. Ihre nach außen geschlossene, würfelförmige Form entsprach nicht dem damaligen Verständnis von moderner Architektur und erweckte unangenehme Erinnerungen an die architektonische Formensprache totalitärer Regime in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Jedoch macht der Bielefelder Bau den Wandel in der modernen Architektur der 1960er Jahre deutlich. Als der us-amerikanische Architekt Philip Johnson den Auftrag für den Entwurf der Bielefelder Kunsthalle bekam, hatte er sich vom International Style längst verabschiedet und unternahm jetzt eine architektonische Neuorientierung, die mehr Gestaltungsfreiheit einforderte und damit der Postmoderne um mehr als ein Jahrzehnt vorausgriff. Professor Fritz Neumeyer gibt in seinem Vortrag viele internationale Beispiele zur Erklärung der Entwicklung von Philip Johnsons Architektur.

Schwarz-weiß-Foto von einem Architekturmodell der Kunsthalle Bielefeld. Am rechten Bildrand steht ein mittelalter Mann in Sakko und Krawatte und schaut auf das Modell.
Philip Johnson mit dem Modell der Kunsthalle Bielefeld, 1964 (Ausschnitt Präsentation)

Die Bielefelder Kunsthalle von Philip Johnson ist in ihrer architektonischen Erscheinung durch kubische Kompaktheit und strukturelle Offenheit zugleich geprägt. Diese Ambivalenz stellte 1968 die Architekturkritik hierzulande vor eine Herausforderung. Während die räumliche Organisation, Lichtführung und Orientierung im Inneren durchaus gelobt wurden, wurde die äußere Erscheinung ganz überwiegend mit Unverständnis und negativ aufgenommen, weil sie ganz offensichtlich nicht dem in der deutschen Architekturwahrnehmung zu dieser Zeit vorherrschenden Verständnis von moderner Architektur entsprach.  Das betraf bereits den Umstand, dass die in Stahlbeton ausgeführte Baukonstruktion – im Gegensatz zur damals modernen Sichtbeton-Bauweise – mit rotem Sandstein verkleidet worden war. Die halbsäulenartig abgerundeten Ecken der Wandscheiben und das schwer lastende geschlossene Volumen der allein durch Oberlicht erhellten oberen Museumsräume erweckten in der Wucht des Ausdrucks bei den Kritikern unangenehme Erinnerungen an architektonischen Monumentalismus. So wurde Johnsons Bielefelder Museum von der Presse 1968 u. a. abwechselnd als „Bunker-Bau“ (Der Spiegel), „Festung“ (FAZ), „eine Mischung aus Wasserturm, Mausoleum und Briefbeschwerer“ (Bauwelt) stilisiert. Angesichts dieser Polemiken resümierte der Architekturhistoriker Wolfgang Pehnt 1970 in dem Band Neue Deutsche Architektur zutreffend, Johnsons Museum sei von der Kritik „in Deutschland als monströse Kuriosität“ verurteilt worden, „die man in keinen Zusammenhang einzuordnen wußte.“

Dass die Zusammenhänge in der Welt der modernen Architektur seit den späten 1950er Jahren in Bewegung geraten waren, wurde hierzulande kaum wahrgenommen. Auf deutschem Boden ist die Kunsthalle Bielefeld architekturgeschichtlich ein einzigartiges Zeugnis des Wandels in der modernen Architektur der 1960er Jahre. Vom International Style – dem der Bielefelder Bau mitunter auch heute noch zugerechnet wird – hatte sich sein Mitbegründer von 1932, als er den Auftrag zum Bau der Kunsthalle erhielt, längst verabschiedet. Johnson unternahm jetzt eine architektonische Neuorientierung, die mehr Gestaltungsfreiheit durch den unbefangenen Umgang mit der Architekturgeschichte und den individuellen Ausdruck einforderte und damit der Postmoderne um mehr als ein Jahrzehnt vorausgriff.

Den Mitschnitt des gesamten Vortrags könnt ihr euch hier ansehen.

Porträt eines älteren weißen Mannes mit kurzen grauen Haaren, Stoppelbart und Brille. Er trägt weißes Hemd und schwarzes Sakko.
Prof. Dr. Fritz Neumeyer

Dr.-Ing. Architekt, 1993–2012 Professor für Architekturtheorie an der Technischen Universität Berlin. 1992 Jean Labatut Professor, School of Architecture, Princeton University. 1989-1992 Professor für Architekturgeschichte, Universität Dortmund. – Gastprofessuren an der Harvard University, KU Leuven, SCIARC, Institut d´ Humanitats de Barcelona, Universidad de Navarra, Pamplona.

Zahlreiche Veröffentlichungen zur Theorie und Geschichte der Architektur, darunter: Mies van der Rohe. Das kunstlose Wort. Gedanken zur Baukunst, Berlin 1986, 2. Aufl. 2016; Friedrich Gilly 1772-1800. Essays on Architecture, Santa Monica 1994 (Berlin 1997); Der Klang der Steine. Nietzsches Architekturen, Berlin 2001; Quellentexte zur Architekturtheorie, München 2002; Originalton Mies van der Rohe. Die Lohan-Tapes von 1969, Berlin 2020; Ausgebootet: Mies van der Rohe und das Bauhaus 1933 – Outside The Bauhaus. Mies van der Rohe and Berlin 1933, Berlin 2020.

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