Das ist euer Feedback zum ersten Prototypen

Zuerst kann man feststellen, dass Virtual Reality in Deutschland noch nicht weit verbreitet im privaten Raum angekommen zu sein scheint. Der größte Teil unseres erreichten Publikums hatte zumindest selbst kein VR-Headset und zuvor keine bis wenig Erfahrung mit VR. Wo diese doch vorhanden war, haben unsere Befragten sie zumeist bei anderen Institutionen und kommerziellen Anbietern gemacht (z. B. in anderen Museen, in Game-Angeboten bei Stadtbibliothek oder Jugendzentrum oder bei VR-Escape Rooms und -Arcades.)

Virtual Reality hat also für den Großteil noch einen starken Eventcharakter. In unserer Erfahrung sorgt das dafür, dass alle Altersgruppen den medialen Effekt von Virtual Reality sehr unterhaltsam und beeindruckend finden.

Damit einhergehend hat sich auch gezeigt, dass es gut funktioniert, über das Interesse an der Technik verschiedene Interessensgruppen von Jahreskartenbesitzer*innen bis zu Nicht-Besucher*innen auf neue Weise für eine Auseinandersetzung mit dem Museum und seinen Themen zu aktivieren. In den Unterhaltungen konnten wir über die Kombination aus neuer Technik und prototypisierendem, partizipativem Ansatz schnell die unterschiedlich gelagerten Schranken zu verschiedenen Gruppen abbauen.

Zudem haben wir wertvolle Erfahrungen dazu gesammelt, wie wir Digitalisierungs- und andere Transformationsprozesse in Museen agil und nutzer*innenorientiert entwickeln und kommunikativ mit möglichen Spannungen umgehen können, die dabei im Team und mit Nutzenden entstehen können.

Es entstanden im gesamten Projektumfeld interessante Gespräche zu Museen allgemein und Kunstmuseen im Besonderen, was Menschen heute von diesen erwarten und was sie dort erleben und tun möchten oder was eben nicht.

Ganz praktisch haben wir natürlich auch viel darüber gelernt, was es braucht, um Veranstaltungen mit VR anzubieten, sowohl materiell, als auch in Bezug auf das anleitende und betreuende Personal.

Es muss z. B. recht viel Zeit pro Nutzer*in eingeplant werden, denn es ist besonders wichtig, dieses Angebot möglichst niedrigschwellig und offen zu gestalten. In der Nutzer*innenbetreuung muss sensibel auf individuelle Bedürfnisse eingegangen werden, weil die VR-Headsets bei Erstnutzung sonst leicht ein Gefühl von Beengung, Isolierung und Kontrollverlust erzeugen können.

Den jungen Nutzer*innen bis ca. 20 Jahren fallen all unsere Komplexitätsgrade in der Bedienung leicht. Sie sind es merklich gewohnt, auf ihr Wissen um Kommunikationszeichen und Bedienungsmechanismen aus anderen technischen Anwendungen zurückgreifen, um beides auf experimentierende Weise in unbekannten Anwendungen zu entschlüsseln.

Personen im Alter von 40 bis 60 können meist ebenfalls auf diese Art technischen Vorwissens zurückgreifen, sind aber merklich zurückhaltender in dessen experimenteller Übertragung. Daher brauchen sie eine längere Einführungsphase und lösen Probleme oder Hürden weniger selbstständig, sondern umgehen sie eher.
Nutzer*innen zwischen 20 und 40 liegen in ihrem Umgang mit der Technik zwischen den beiden oberen Gruppen. Hier scheinen die Fähigkeiten jedoch weniger konsequent am Alter orientiert zu sein und mehr an individuellen Schwankungen in den Vorerfahrungen.
Menschen über 60 brauchen zwar eine intensivere Anleitung und in jedem Fall durchgehend direkte Ansprechpartner*innen für Hilfestellungen, kommen aber im Schnitt ausreichend mit der Bedienung der Virtuellen Kunsthalle zurecht, um Freude daran zu haben. Gerade hier hat sich ein großer Mehrwert darin gezeigt, Elemente mit unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad vorzuhalten, die man gemäß der individuellen Lernkurve gemeinsam mit der*m Nutzer*in durchlaufen kann.

Dieser Aspekt trifft aber im Grundsatz für jede der Altersgruppen zu, sie starten nur tendenziell an unterschiedlichen Punkten auf der Kurve. Uns wurde auch wiederholt bestätigt, dass die Notwendigkeit einer Lernkurve bei der Bedienung eingeplant werden darf; solange die Virtuelle Kunsthalle spannende Inhalte und Aktionen bietet, sei man bereit, auch wiederholt kommen zu müssen, um alles bedienen und sehen zu können.

Videoeinblick in den ersten Prototypen

Im Allgemeinen hat das Feedback der Nutzenden uns darin bestätigt, dass es ein besonderes Merkmal unserer Virtuellen Kunsthalle ist, dass wir darin museale Interaktion als Kombination aus technischen und sozialen Komponenten in den digitalen Raum adaptieren. Vor allem an dem Raum mit den Chladnischen Figuren konnten wir sehen, wie gut es bei Nutzer*innen ankommt, gemeinsam etwas im virtuellen Raum gestalten zu können. (In diesem Video kannst du einen Blick in den ersten Prototypen werfen.) Wir haben gesehen, dass es für Nutzer*innen essenziell ist, mit den Inhalten und Werken selbstbestimmt aktiv interagieren zu können, Informationen direkt durch das ,Machen‘ zu erhalten, selbst kreativ zu werden. Dabei müssen jedoch verschiedene Intensitätsgerade bereitgestellt werden, wie in unserem ersten Prototypen. Das wurde uns immer wieder deutlich, während wir ganz unterschiedliche Menschen an die Technik herangeführt haben.

Großer Beliebtheit erfreute sich der Raum, in dem man selbst zwischen unterschiedlicher Musikbegleitung für die Bildrezeption wählen kann. Auch der Raum mit demselben Bildmotiv auf verschiedenen Wandfarben wurde gern genutzt. Diese Räume waren sowohl mit, als auch ohne Begleitung durch uns beliebt. Die Begeisterung für den Raum, in dem man mit Chladnischen Figuren allein oder gemeinsam ein eigenes Werk erzeugen kann, entstand hingegen vorwiegend in den durch uns angeleiteten Situationen. (In diesem Video kannst du einen Blick in den ersten Prototypen werfen.) Darin bestätigt sich, dass im Zentrum unserer Planung zwei Aspekte stehen sollten: 1. Die Form der Interaktion und der durch diese zu vermittelnde Inhalt sollten möglichst intuitiv verbunden und einfach zu bedienen sein. Abstrahierte Inhalte, die sich Nutzer*innen erst in mehrschrittigen Elementen erschließen, überfordern die Menschen in Kombination mit der Technikbewältigung. 2. Die virtuelle Kunst- und Raumerfahrung ist trotz nachgebauter realer Proportionen eine völlig andere und es ist essenziell, bewusst eine darauf abgestimmte Atmosphäre zu schaffen. Im Nutzer*innenfeedback konnte die These bestätigt werden, dass der Reiz und die besondere Fähigkeit von Virtual Reality im Museumsumfeld vor allem darin liegt, die klassische Szenographie Museum aufzubrechen, also eine im Analogen nicht mögliche Kombination aus neuer Raumerfahrung, anderen Formen sozialer und kreativer Interaktion zwischen Nutzer*innen und den Kunstwerken selbst zu schaffen. Das zeigt sich in wiederholten Anmerkungen wie: es wirkt kahl und kalt, es müssen mehr Inhalte rein, es soll mehr Immersion durch multisensorische Erfahrungen erzeugt werden, die Emotionalität der Werke soll mehr rüberkommen.

Vor diesem Hintergrund kann man hinterfragen, ob es sinnvoll ist, das physische Erscheinungsbild der Kunsthalle Bielefeld quasi 1:1 in den virtuellen Raum zu übertragen, oder ob man damit zu wenig in die Stärken des Mediums Virtual Reality spielt. Bei der Erstellung des Prototypen kam es auch schnell zu der Erkenntnis, dass damit bestimmte Probleme der analogen Raumnutzung in die Kuration des virtuellen Raums mitübertragen wurden. Im Austausch mit den Nutzer*innen wurde aber bestätigt, dass die einzigartige Raumerfahrung von Virtual Reality nicht zwangsläufig geschmälert wird, wenn sie auf unserer physischen Architektur basiert. Es kommt mehr auf deren Befüllung an. Tatsächlich scheinen bekannte Orientierungspunkte wie Treppen und Wände gerade Neulingen zu helfen, sich selbstbestimmt mit der unbekannten Technik vertraut zu machen. Bekannte architektonische Raummarker könnten auch ein Grund dafür sein, dass unsere Nutzer*innen trotz seltener Vorerfahrung mit VR fast nie von Motion Sickness berichteten. Des Weiteren war zu beobachten, dass die Parallelen zwischen analogem und virtuellem Gebäude niedrigschwellig deutlich machen, wie unterschiedlich sich die beiden Räume anfühlen. Das regte unkompliziert zur Reflexion über die Spezifika von sowohl Virtual Reality als auch analogen Museen an. Damit konnte teils merklich ein neues Verständnis für beides erzeugt werden. Das hat uns in der These bestärkt, dass die nicht fotorealistische Optik die gerade genannten Effekte sogar verstärken kann, wenn man sie bewusst anerkennt und als Stilmittel nutzt. Gleiches gilt für die 1:1 Reproduktion von Raumverhältnissen, wenn gezielt damit gespielt wird, sie einzuhalten und aufzubrechen.

Die Nutzenden haben auch angemerkt, dass der Fokus auf die Kunst in der Rezipient*innenerfahrung momentan noch eher verloren geht, weil die Technik einem beim Einstieg viel abverlangt, in der Steuerung sowie in der Verarbeitung der Eindrücke. Dies muss jedoch nicht unbedingt schlecht sein. Wenn man sich dem bewusst ist, kann man es gezielt nutzen, um dazu anzuregen, alte Rezeptions- und Vermittlungsmuster zu reflektieren und aufzubrechen. Zudem haben uns die Nutzenden gesagt, dass bei der Konzeption ruhig eingeplant werden darf, dass eine wiederholte Nutzung erforderlich ist, um alles zu sehen, auszuprobieren und zu erfassen. Wichtig sei nur, dass es um die inhaltlichen und technischen Einstiegsprobleme herum genug Spaß macht. Wir haben die Nutzenden auch dazu befragt, was denn einen solchen Spaß erzeugen würde, was sie in Zukunft in der Virtuellen Kunsthalle sehen und tun möchten. Hier ist ein Einblick in die am häufigsten genannte Punkte:

  • die Inhalte müssten in regelmäßigen Abständen wechseln
  • eine inhaltliche Anlehnung an das, was wir aktuell analog ausstellen, wäre schön, aber nicht die Hauptsache
  • am Wichtigsten sei es, hier Dinge zu zeigen, die man im Analogen nicht sehen kann (selten oder nie ausgestellte Werke aus dem Depot/ zu fragile Werke oder Werke, die nicht analog nach Bielefeld kommen können, starke Zooms in die Details, Informationen aus der Restaurierung, usw.)
  • man sollte direkt mit den Werken interagieren und in sie eintauchen können
  • es sollte ein Erkundungsziel geben, um Orientierungslosigkeit und Überforderung entgegenzuwirken
  • es sollte vielfältigere Kontextualisierung angeboten werden, in der individuelle Erkenntnisschwerpunkte gewählt werden können
  • man könnte hier vergangene Ausstellungen der gebauten Kunsthalle archivieren

Es wurde allgemein sehr positiv bewertet, dass die Virtuelle Kunsthalle direkte soziale Interaktion ermöglicht. Sowohl, dass sich die Avatare direkt begegnen und unterhalten können, als auch die beiden Räume, in denen gemeinsam Kreativität ausgelebt und Kunstwerke geschaffen werden können, wurden wiederholt als Grund für ein erhöhtes Interesse erkennbar. An dem Erscheinungsbild der Avatare muss jedoch noch gearbeitet werden. Vielen fällt es schwer, die Würfel-Avatare als lebendige Personen zu lesen und die Würfel-Hände als ihre eigenen wahrzunehmen und dementsprechend die Tastennutzung als Handbewegungen zu verinnerlichen. Alternativ muss auf andere Weise über die Controller eine klar identifizierbare Rückmeldung zu Erfolg und Misserfolg geschaffen werden, wenn bestimmte Funktionen genutzt werden. Zudem ist die Platzierung der Knöpfe für Menschen mit motorischer Einschränkung teils nicht geeignet. Die Bedienung (d. h. welche Taste/-nkombination welche Aktion auslöst) muss zudem intuitiver gestaltet werden. Die Nutzenden haben hierfür verschiedenen Wege vorgeschlagen: Andere Tastenbelegung, intuitivere Kennzeichnung und Erklärung von interaktiven Elementen oder indem ein individuell aktivierter Auslöser mehr automatisch ablaufende Prozesse initiiert.

Die Nutzenden haben es auch sehr positiv bewertet, dass sich über verschiedene Methoden völlig frei in unserem Virtuellen Gebäude bewegen können. Schwindelgefühle kamen bei ihnen nur sehr selten vor. Es weist vieles darauf hin, dass dies daran liegt, dass je nach Person und Situation zwischen physischen Bewegungen, Teleport und Joystick gewählt werden kann und gewohnte visuelle Orientierungspunkte existieren. Letztere haben es uns in jedem Falle einfacher gemacht, den Nutzenden bei Unsicherheiten zu helfen. Es sorgte allerdings für erhebliche Irritationen, wenn der Teleport ungeplant durch Wände und Böden führte, wohingegen das ebenfalls eigentlich nicht vorgesehene Fliegen durch den Skulpturenpark und über das Gebäude großen Spaß erzeugte.

Ein wiederholter Vorschlag war zudem eine verbesserte Grafik: detaillierter, schärfer, realistischer. In der Priorisierung zwischen fotorealistischer Grafik sowie höchstmöglicher Simplifizierung der Steuerung und verschiedenen Interaktionsmöglichkeiten haben die Nutzenden sich hingegen mehrheitlich für das Letzte ausgesprochen.

Videoeinblick in den ersten Prototypen

Dies sind die Haupterkenntnisse aus unseren Gesprächen während der Veranstaltungen, die wir mit der Virtuellen Kunsthalle durchgeführt haben. Hier haben wir diese Treffen auch statistisch zusammengefasst.

Während wir unseren nächsten Prototyp entwickeln, führen wir weiter Veranstaltungen durch. Wenn du Lust hast, einmal vorbeizuschauen: Hier geht es zu den Terminen.

Gallerie

Ein Raum, dessen Wände bis zur Decke mit Bücherregalen bedeckt sind. Im Raum verteilt stehen vier weiße Menschen mit VR-Headsets auf dem Kopf. Es sind zwei Kinder und zwei Frauen.
Let’s get real Veranstaltung am Internationalen Museumstag, 19.5.2024, Foto: Kunsthalle Bielefeld
Vier Personen verschiedenen Alters und Hautfarbe, stehend und auf Hockern sitzend, tragen Virtual Reality Headsets. An der Wand hinter ihnen sieht man, welche Computeranwendung sie gerade testen.
Virtuelle Kunsthalle im Test, Internationaler Museumstag 2023, Foto: Kunsthalle Bielefeld
Auf einem Bildschirm an der Wand sind Würfel-Gestalten und bunte, unterschiedlich große Muster zu sehen. Davor stehen zwei junge Frauen mit VR Headsets vor den Augen. Sie scheinen ihre Arme in Gesten zu bewegen.
Der Bildschirm im Hintergrund zeigt: Gerade werden hier bunte Muster vergrößert. In der Virtuellen Kunsthalle können Nutzer*innen zusammen Objekte verändern und kreativ werden. Foto: Kunsthalle Bielefeld
Zwei Personen stehen in einem Raum, an dessen Wänden Regale mit Aktenordnern stehen. Das Mädchen und der Mann sind von hinten zu sehen. Der Mann hält ein VR-Headset vor seine Augen.
Let’s get real bei den Bielefelder Nachtansichten, 27.04.2024
Vor einem Bücherregal stehen zwei weiße Frauen. Die vordere trägt ein VR-Headset und gestikuliert mit ihren Händen, in denen sie Controller hält. Die hintere Frau scheint mit ihr zu reden und lächelt dabei.
Let’s get real bei den Bielefelder Nachtansichten, 27.04.2024
Eine junge Frau in einem Kunstmuseum. Sie trägt ein Virtual Reality Headset und schaut in unsere Richtung. Sie hat gute Laune.
Let's get real. April 2023, Foto: Kunsthalle Bielefeld
Eine weiße Frau und ein weißer Mann halten sich VR-Headsets vor die Augen und je einen Controller in ihrer linken Hand. Sie stehen auf einem Paketboden vor einer Wand, an der ein Bildschirm und Textblöcke angebracht sind.
Vorbereitungen für den Launch der Virtuellen Kunsthalle am 3.5.2023, Foto: Kunsthalle Bielefeld