Aktion, Geste, Farbe
Künstlerinnen und Abstraktion weltweit 1940-70
Mit einer internationalen Ausstellungskooperation präsentiert die Kunsthalle Bielefeld eine umfangreiche, globale Schau, die erstmals in Europa das Schaffen von Künstlerinnen und ihre Rolle in der Entwicklung der Abstraktion nach 1945 in den Fokus rückt. Die Bewegung, die wir heute als „Abstrakten Expressionismus“ beschreiben, begann offiziell in der Mitte des 20. Jahrhunderts in den USA. Doch auf der ganzen Welt erforschten Künstler*innen parallele Ansätze zur Abstraktion durch Materialität, Expressivität und Gestik, vom Informel bis zur Arte Povera, von der kalligrafischen Abstraktion und Gutai in Ostasien bis zu experimentellen, zutiefst politischen Praktiken in Mittel- und Südamerika, Nordafrika und dem Nahen Osten.
Die ausgestellten Künstlerinnen arbeiteten nicht in einem Vakuum. Die folgende Grafik macht exemplarisch die weltweite Vernetzung von Künstlerinnen untereinander, mit ihren männlichen Kollegen und mit der internationalen Verbreitung der Abstraktion sichtbar. Die Karte ist eine interaktive Darstellung der über 80 Künstler*innenbiografien aus dem Ausstellungskatalog Aktion – Geste – Farbe. Künstlerinnen und Abstraktion 1940-1970.
In Anlehnung an die Avantgarde-Bewegungen des Expressionismus und des Surrealismus definierten diese Künstler*innen die kreative Praxis als eine immersive Arena für Aktion, Prozess und Bewusstsein vollkommen neu. Ihre Gemälde wurden nicht als Bilder, sondern als Ereignisse betrachtet und entwickelten sich zu Katalysatoren für Ideen in den Bereichen Ästhetik, Poesie, Philosophie und Politik. Trotz ihrer wesentlichen Rolle für die Entwicklung der Abstraktion, wurde insbesondere der Beitrag weiblicher Künstlerinnen von der Kunstgeschichte bislang nur unzureichend gewürdigt. Die Ausstellung zeigt neben Werken von bekannten Namen wie Joan Mitchell, Helen Frankenthaler, Lee Krasner auch bislang im Westen weniger bekannte Positionen aus dem globalen Süden und Osten. Die Ausstellung entsteht in Kooperation mit der Whitechapel Gallery, London und der Fondation Vincent van Gogh Arles.
Mit unseren KB-Journal Beiträgen weiter unten können Sie noch tiefer in das Ausstellungsthema eintauchen.
Beiträge zum Thema: Künstler*innengruppen
Die künstlerische Tätigkeit von vielen der ausgestellten Künstlerinnen fand nicht in einem Vakuum statt. Im Gegenteil, sie waren oft Teil von bis heute bekannten Künstler:innengruppen ihrer Zeit – mitten im Geschehen und dennoch zumeist wenig wahrgenommen und in Fachkreisen bis heute zu oft übersehen. Die hier gesammelten Stationen erzählen einige von diesen Geschichten.
„Es wäre interessant, wenn Kunstwissenschaftler*innen berücksichtigen würden, zu welch ähnlichem Ausdruck Künstler*innen in verschiedenen Ländern finden, einfach weil sie in derselben Epoche leben“.
Das Zitat der peruanischen Künstlerin Gloria Gómez-Sánchez stellt die Forderung auf, den Blick auf alle Künstler*innen zu weiten, die zwischen 1940 und 1970 mit der expressiven Abstraktion arbeiteten. Und das taten Künstler*innen weltweit. Ob in Nordamerika mit dem abstrakten Expressionismus oder in der informellen Kunst in den europäischen Nachkriegsjahren.
Oft schlossen sich abstrakte Künstler*innen dabei in Netzwerken oder Gruppen auf der ganzen Welt zusammen und agierten gemeinsam – nicht nur, um sich Kosten durch gemeinsame Ateliernutzungen zu sparen, sondern vor allem, um stärker wahrgenommen zu werden.
Auch die weiblichen Künstlerinnen der Gruppen beteiligten sich an den künstlerischen Diskursen. Dennoch erfuhren sie häufig weniger Resonanz als ihre männlichen Kollegen. Manche von ihnen gerieten nach ihrem Tod ganz in Vergessenheit.
Wenn Sie mehr über die über die vielfältigen Wirkungsstätten und Verbindungen der Künstlerinnen der Ausstellung „Aktion, Geste Farbe“ erfahren wollen, dann schauen sie sich gerne die Netzwerkgrafik weiter oben auf dieser Seite an.
Text: Charlotte-Sophie Laege
Eingesprochen von: Charlotte-Sophie Laege, Nadine Kleinken
Aufnahme und Schnitt in Kooperation mit dem Making Media Space im Digital Learning Lab der Universität Bielefeld.
Sie stehen vor dem Werk „Untitled (Red Tree)“ der US-amerikanischen Künstlerin Joan Mitchell aus dem Jahr 1957. Sie gilt als eine der führenden Maler*innen ihrer Generation. Mitchell war wie auch Perle Fine, Pat Passlof oder Charlotte Park eines der wenigen weiblichen Mitglieder des New Yorker „Artist´s Club“ oder auch „8th Street Club“.
Hier trafen sich regelmäßig Maler*innen und Bildhauer*innen, die in den späten 1940er und frühen 1950er Jahren in New York ihre Ateliers zwischen den 1st und 6th Avenues sowie zwischen der 8th und 12th Street hatten. Der Club selbst lag in der 39 East 8th Street.
Die Mitglieder verfolgten das Ziel, die Sichtbarkeit der Kunst zu fördern, insbesondere der abstrakten expressionistischen Kunst. Der Club verlieh der New Yorker Kunstszene damit die Vitalität und den internationalen Einfluss, die vorher lange Zeit Paris innehatte.
Im Mai 1951 organisierte der Club eine Gruppenausstellung in einem abbruchreifen Geschäftsgebäude in der 9th Street – die sogenannte “9th Street Art Exhibition”. Bekannte Teilnehmer*innen waren die Expressionisten Willem de Kooning, Jackson Pollock und Hans Hofmann.
Nur 11 der 72 ausstellenden Künstler*innen der “9th Street Art Exhibition” waren weiblich. Ein weiteres Zeichen dafür, wie schwer es Frauen hatten, neben ihren männlichen Künstlerkollegen als gleichwertige Künstlerinnen anerkannt und wertgeschätzt zu werden. Hinzu kam, dass viele dieser Künstlerinnen mit erfolgreichen männlichen Künstlern verheiratet waren. Die Karrieren der Männer erhielten im damaligen Lebensalltag oft den Vorrang.
Joan Mitchell kommentierte daher ihre Werke gerne ironisch mit „It´s not bad, is it, not bad for a woman?“ – auf Deutsch: „Es ist nicht schlecht, nicht wahr, nicht schlecht für eine Frau?“
Porträt via Wikimedia Commons, Unknown author, Joan Mitchell, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons.
Text: Charlotte-Sophie Laege
Eingesprochen von: Matthias Albrecht
Aufnahme und Schnitt in Kooperation mit dem Making Media Space im Digital Learning Lab der Universität Bielefeld.
Die US-amerikanische Malerin Grace Hartigan, vor deren Werk „Cedar Bar (ursprünglich benannt als ‘Aries’ in the Grace Hartigan Diaries)“ sie gerade stehen, kam 1946 nach New York und schloss sich dort einer Künstler*innengruppe an, die später als „New York School“ bekannt wurde. Die locker gestrickte Gruppe aus Maler*innen, Komponist*innen und Dichter*innen hatte sich in den 1940er und 1950er Jahren in Downtown, Lower Manhattan angesiedelt. Die New York School nahm einen bedeutenden Einfluss auf die Kunstrichtung des Action Painting. Action Painting – zu Deutsch „Aktionsmalerei“ – versteht den Akt des Malens als Ereignis. Körper, Bewegung und Gesten sind elementare Bestandteile dieser Art des Malens, die häufig nicht klassisch auf der Staffelei, sondern auf dem Boden stattfindet. Breite Pinselstriche, Tropfen und Spritzer weisen auf die körperlichen Aktionen der Künstler*innen hin. Können Sie diese Elemente in “Cedar Bar” wiederfinden?
Lassen Sie ihren Blick nun einmal in die untere rechte Ecke des Bildes schweifen. Grace Hartigan hat ihr Bild hier eindeutig mit „Hartigan 51“ signiert. Die Zahl 51 steht hier für das Entstehungsjahr 1951. Auch beim Blick über die anderen Bilder haben sie vielleicht schon festgestellt, dass viele der Künstlerinnen ihre Werke nicht mit ihren vollen Namen unterschrieben haben. So zum Beispiel auch weitere Mitglieder der New York School wie Elaine de Kooning, die ihre Werke mit E.K. oder E. de K. kennzeichnete oder Corinne West, die ihre Werke mit ihrem männlichen Pseudonym Michael West signierte. Auch Grace Hartigan nannte sich zeitweise George. Ein Hinweis darauf, wie schwer es Frauen in der Kunst hatten, sich zu etablieren und ihren Platz in der Kunstwelt zu festigen.
Text: Charlotte-Sophie Laege
Eingesprochen von: Charlotte-Sophie Laege
Aufnahme und Schnitt in Kooperation mit dem Making Media Space im Digital Learning Lab der Universität Bielefeld.
Bereits im 17. Jahrhundert fand in Europa ein Kulturwandel statt, in dem Frankreich neben Italien eine Vorreiterrolle einnahm. Wichtige Impulse für Mode und Kunst stammten in dieser Zeit aus Paris, alles Französische war „en vogue“. Das hielt sich bis in das 20.Jahrhundert. In Frankreich und vor allem in der Hauptstadt herrschte eine liberale Stimmung, die viele Künstler*innen aus anderen Ländern anzog – freiwillig oder auch als Geflüchtete.
Auch die aus Venedig stammende Künstlerin Ida Barbarigo kam 1952 nach Paris und schloss sich der Künstler*innengruppe „Nouvelle École de Paris“ an, einer Gruppe von Künstler*innen, die von den 1940er bis in die 1960er Jahre in Paris lebten und wirkten.
Eine erste „École de Paris“ – zu Deutsch „Pariser Schule“ hatte sich bereits vor dem Ersten Weltkrieg gebildet, zu deren wichtigsten Vertreter*innen Pablo Picasso oder der spanische Maler Miró und später auch Sonia und Robert Delaunay zählten.
Die Mitglieder der „Nouvelle École de Paris“ – also „Neue Pariser Schule“ oder auch „Zweite Pariser Schule“ – werden hauptsächlich der so genannten lyrische Abstraktion und dem Tachismus zugeordnet. Tachismus leitet sich vom französischen Wort „tache“ ab, was im Deutschen ein „Farbspritzer“ oder „Farbfleck“ bedeutet. Der Tachismus ist gekennzeichnet durch spontane Pinselführung, Tropfen und kritzelnde Zeichen.
Ida Barbarigos Werke „Open Game“ und „Promenade“ lassen solche Elemente des Tachismus erkennen. In ihren Werken nutzt die Künstlerin häufig rhythmische Pinselstriche und gewundene Formen, die geschickt vor luftigen hellen Hintergründen inszeniert sind. Häufig arbeitete Barbarigo persönliche Bezüge in ihre Werke ein, um damit das Malen, wie sie sagt, „zu verlernen“ und ihrem eigenen Sinn näher zu kommen.
Text: Charlotte-Sophie Laege
Eingesprochen von: Charlotte-Sophie Laege
Aufnahme und Schnitt in Kooperation mit dem Making Media Space im Digital Learning Lab der Universität Bielefeld.
Die New Yorker Künstlerin, Bildhauerin und Galeristin Betty Parsons gilt als die „Mutter des Abstrakten Expressionismus“. Sie war bekannt für ihr überragendes kuratorisches Gespür. Bereits 1946 eröffnete Parsons, nachdem sie von 1923 bis 1933 in Paris Malerei und Bildhauerei studiert hatte, in Midtown New York eine Galerie, in der sie die großen Künstler des Abstrakten Expressionismus ausstellte – darunter Jackson Pollock, Mark Rothko oder Hans Hofmann. Die „Betty Parsons Gallery“ verschaffte den Künstlern eine erste große Aufmerksamkeit und wurde zu einer der renommiertesten Kunstgalerien in New York.
Jeden Sommer blieb die Galerie geschlossen, damit sich Parsons auf ihr eigenes künstlerisches Schaffen konzentrieren konnte. Sie sagte einmal: „Wenn ich nicht in der Galerie bin, sorgt meine eigene Kunst für meine Entspannung. Das ist meine größte Freude.“
Parsons Werke sind von abstrahierten organischen Formen geprägt, die auf gedämpften Farbfeldern schweben. Häufig arbeitete sie Elemente aus der Natur mit ein. Finden Sie nicht auch, dass ihr Werk „Blue Fields“ einer Landschaftsaufnahme aus der Vogelperspektive ähnelt?
Neben ihren männlichen Künstlerkollegen förderte Betty Parsons insbesondere auch die abstrakten Künstlerinnen in New York und stellte ihre Werke in der „Betty Parsons Gallery“ aus. Dazu zählen die Künstlerinnen Perle Fine, Judith Godwin, Lee Krasner, Ethel Schwabacher und Sonja Sekula. In den späteren Jahren wurden auch Werke von schwulen, lesbischen und bisexuellen Künstler*innen in ihrer Galerie präsentiert. Nach Parsons Tod 1982 wurde die Galerie geschlossen.
Porträt via Wikimedia Commons, Lynn Gilbert, Betty Parsons ©Lynn Gilbert 1977, CC BY-SA 4.0
Text: Charlotte-Sophie Laege
Eingesprochen von: Charlotte-Sophie Laege, Nadine Kleinken
Aufnahme und Schnitt in Kooperation mit dem Making Media Space im Digital Learning Lab der Universität Bielefeld.
Beiträge zu einzelnen Werken
Ist das eine Landschaft? Vielleicht mit einem See oder einem Stück Meeresbucht?
Helen Frankenthaler malt dieses Bild im Jahr 1974.
Eigentlich sind das ja nur großflächig aufgetragene Farben.
Wie kommt es aber, dass wir meinen könnten, es handele sich um eine Landschaft?
Zum einen durch das extrem breite Bildformat – so kennen wir das aus dem Kino, perfekt, um eine Landschaft darzustellen. Zum anderen ist es denkbar, dass wir diese Farben so – oder fast so – einmal im Spiel von Licht und Farben in der Natur erlebt haben. Dazu kommt, dass Helen Frankenthaler ihrem Werk den Titel „April Mood“, also Aprilstimmung, gibt.
Helen Frankenthaler hat einmal über ihre Kunst gesagt:
„Meine Bilder sind voller Wetterstimmungen. Abstrakten Wetterstimmungen, nicht Natur an sich. Sondern einem Gefühl. Und dem Gefühl einer Ordnung, die wir eher mit der Natur verbinden. Vielleicht Natur mit ihren Jahreszeiten. Auf jeden Fall eine ‚geordnete Natur‘. Und ich denke, dass die Kunst selbst eine Ordnung aus dem Chaos ist.“
Die Technik, Farbe auf diese Weise wirken zu lassen, hat Helen Frankenthaler zur Meisterschaft gebracht. Soak Stain sagt man dazu, auf Deutsch nennt man die Technik auch „Schüttbildmalerei“: Dünnflüssige Farbe wird auf die rohe Leinwand gegossen und färbt diese dann sehr stark, weil die Farbe gut ins Gewebe einziehen kann. Sie werden diese Technik bei anderen Werken von Helen Frankenthaler in unserer Ausstellung wiederentdecken und vielleicht noch besser als hier nachvollziehen können.
Porträt via Wikimedia Commons, Collection: Records of the White House Photo Office (George W. Bush Administration), 1/20/2001 – 1/20/2009, President George W. Bush and Mrs. Laura Bush with 2001 National Medal of Arts Recipient Helen Frankenthaler, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons
Text: Matthias Albrecht
Eingesprochen von: Charlotte-Sophie Laege, Nadine Kleinken
Aufnahme und Schnitt in Kooperation mit dem Making Media Space im Digital Learning Lab der Universität Bielefeld.
„Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten; auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder. Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt und begannen, in fremden Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab.“ Apostelgeschichte 2, 1-4
Dieses Zitat aus der biblischen Apostelgeschichte schildert den Kern des christlichen Festes Pfingsten. Pentecost ist die englische Bezeichnung für dieses Fest.
Ist auf diesem Gemälde eine Feuerzunge zu sehen? Buffie Johnson legt diese Deutung mit dem Titel des Bildes nahe.
Die Geste, mit der die rote Struktur auf die Leinwand gebracht wurde, signalisiert Kraft. Die Farbe Rot verbinden wir mit Feuer. Aber auch mit Weiblichkeit. Mit Fruchtbarkeit. Mit der Kraft, Leben zu erzeugen.
„Ich hatte immer ein Altarbild der Göttin vor Augen.“, sagte die Künstlerin selbst einmal über ihre Malerei. Weibliche Energie und Lebenskraft waren ihre Themen.
So mag dieses „Pfingsten“ fast schon eine Aufforderung an Frauen sein. Sich der eigenen Kraft bewusst zu werden. Das war im gesellschaftlichen Umfeld der 1950er Jahre und auch in der Nachbarschaft der männlichen Künstler des Abstrakten Expressionismus, denen Buffie Johnson eine „subtile Frauenfeindlichkeit“ bescheinigte, ein Schritt in Richtung Feminismus, für den Buffie Johnson sich ab den 1960er Jahren einsetzte.
Text: Matthias Albrecht
Eingesprochen von: Matthias Albrecht, Nadine Kleinken
Aufnahme und Schnitt in Kooperation mit dem Making Media Space im Digital Learning Lab der Universität Bielefeld.
„In den 1950er Jahren war die Leinwand eine Bühne, die Malerei war eine gestische Bewegung, wenn nicht gar Geschwindigkeit, ein Ersatz für den physischen Akt des Tanzens.“ (Miriam Schapiro)
So auch hier. „Idyll 2“ aus dem Jahr 1956 erscheint wie ein Tanz der Farben. Vor einem Hintergrund aus durchscheinenden Gelb- und Blautönen entfaltet sich ein bewegtes Treiben aus unterschiedlichsten Farben. Gemalt hat Miriam Schapiro mit einem Pinsel, der die mit Terpentin verdünnte Ölfarbe auf die für diese Künstlerin in dieser Zeit charakteristische Art auf die Leinwand bringt: „Dünn malen und verwischen“, so bezeichnet die Künstlerin selbst ihre Arbeitsweise.
Was ist ein Idyll? Eigentlich ja die Darstellung einer Landschaft, in der Menschen auf einfache Art leben. Glücklich und ohne Anstrengung natürlich! Für viele bildende Künstler*innen und Poet*innen im 19. Jahrhundert, also in der Zeit der Romantik, war das die Vorstellung vom idealen Leben. Es mag sein, dass Miriam Schapiro sich darauf bezieht. Vielleicht auf Alfred Tennysons Gedichtfolge „Königsidyllen“, die die Sage von König Artus auf ganz eigene Weise erzählt.
Vielleicht geht es aber auch nicht so sehr darum. Sondern mehr darum, das zu malen, was für Miriam Schapiro idyllisch ist. Der Zustand, in dem sie malt. Die Geschwindigkeit. Das Aufeinandertreffen von Kontrasten. Das Vermischen von Farbtönen. Der Tanz.
Text: Matthias Albrecht
Eingesprochen von: Matthias Albrecht, Nadine Kleinken
Aufnahme und Schnitt in Kooperation mit dem Making Media Space im Digital Learning Lab der Universität Bielefeld.
„Ein Gemälde ist für mich zunächst ein Verb, kein Substantiv, es ist vor allem ein Ereignis und erst in zweiter Linie ein Bild. […] Ich will Gesten – jede Art von Gesten, alle Arten von Gesten – sanfte oder brutale, fröhliche oder tragische, die Geste des Raums – aufsteigend, absinkend, strömend, wirbelnd: die Geste des Lichts, das durch die Farbe fließt oder spritzt.“ sagt Elaine de Kooning selbst über ihre Arbeit.
„Painting“ ist im Englischen das Wort für „Gemälde“, aber auch für „Malen“, also die Tätigkeit. Deshalb sagt sie: Es ist ein Verb.
Wie empfinden Sie die malerische Geste auf diesem Bild? Mit viel Schwung und breitem Pinsel hat Elaine de Kooning das Grün zu einer regelrechten Erscheinung gemacht. Der helle Hintergrund mit wenigen Ocker-, Gelb- und Rot- bis Violett-Tönen verstärkt die Wirkung. So wird deutlich, wer hier der „Hauptdarsteller“ ist: Es geht um Kraft.
Elaine de Kooning sah sich als Künstlerin auf Augenhöhe mit den berühmten Namen des Abstrakten Expressionismus. Sie schrieb Artikel über diese erste große und weltweit erfolgreiche amerikanische Kunstbewegung. Davor waren die großen Impulse in der Kunst aus Europa gekommen. Aber weshalb wurden die Künstlerinnen so viel weniger wahrgenommen als die Männer? Weshalb wurde der Abstrakte Expressionismus als „Männersache“ dargestellt, insbesondere von den männlichen Künstlern selbst?
Grace Hartigan, deren Werke Sie auch in unserer Ausstellung sehen können, sagte darüber: „Oh, diese armen Kerle wussten nicht, was ein männlicher Künstler war, es gab kein ‚Image‘ für einen amerikanischen Künstler…, Kunst war etwas, was man als Weichei machte. Ihr einziges Vorbild, die armen Wesen, war also der Westen, Cowboys und Arbeiter. Also trugen sie alle Latzhosen und versuchten, sehr maskulin auszusehen und nicht empfindlich und verweichlicht zu wirken. …diese Männer hatten die wackeligste Identität von Männlichkeit, die man je geehen hatte.“ Quelle
Porträt via Wikimedia Commons, Rochester Institute of Technology, Elaine de Kooning, RIT NandE 1974 Dec16 Complete, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons
Text: Matthias Albrecht
Eingesprochen von: Charlotte-Sophie Laege, Matthias Albrecht
Aufnahme und Schnitt in Kooperation mit dem Making Media Space im Digital Learning Lab der Universität Bielefeld.
Lee Krasner, die eigentlich Lena Krassner heißt, wurde 1908 als Kind ukrainisch-jüdischer Einwanderer in New York geboren. Schon früh entschied sie sich für eine Existenz als Künstlerin und studierte ab 1926 an der Women´s Art School of Cooper Union, dann an National Academy of Arts. Später wurde Hans Hofmann, einer der einflussreichsten Kunstlehrer des 20. Jahrhunderts ihr Mentor.
1942 lernte Krasner den abstrakten Künstler Jackson Pollock kennen. 1945 zogen Krasner und Pollock nach der gemeinsamen Hochzeit in ein baufälliges Haus in der Gemeinde Springs auf Long Island. Das Pollock Krasner House and Studio ist heute ein Museum und gehört zu den National Historic Landmarks in den USA.
Lee Krasners Leben mit Pollock war geprägt durch Pollocks Alkoholismus, Depression und Untreue. Dennoch setzte sich Krasner ganz und gar für die Arbeit und Karriere ihres Mannes ein, wurde seine Managerin und Sekretärin – und kratzte nach finanziellen Engpässen sogar die Farbe von ihren eigenen Gemälden ab, um weitere Malflächen für Pollock zu schaffen. Den weltweiten Durchbruch schafft sie erst nach dem Unfalltod Pollocks im Jahr 1956.
Krasners erste Soloausstellung fand 1955 in der „Betty Parsons Gallery“ statt. Danach erntete sie als Künstlerin immer größere Anerkennung und blieb bis ins hohe Alter künstlerisch aktiv.
Lee Krasners Lebenswerk umfasst über 600 Gemälde, Mosaiken und Collagen. Ihre Werke waren beeinflusst durch Künstler wie Picasso und Matisse, später auch durch ihren verstorbenen Ehemann.
Porträt via Wikimedia Commons, Gotfryd, Bernard, photographer, Lee Krasner, artist, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons
Text: Charlotte-Sophie Laege
Eingesprochen von: Charlotte-Sophie Laege
Aufnahme und Schnitt in Kooperation mit dem Making Media Space im Digital Learning Lab der Universität Bielefeld.
„Für mich ist Kunst – die Farbe in der Kunst – eine wundervolle Zügellosigkeit… Ich wüsste nicht, warum man sich nicht etwas gönnen, sich nicht glücklich machen sollte. Sich amüsieren sollte. Sich an der Schönheit ergötzen sollte. Ich will eine Kunst, die mich auf hochtrabende Weise berauscht. Diese Idee gefällt mir.“
Gillian Ayres liebt Farbe. Im Zitat betont sie die erhebenden Wirkungen, die sie durch Farbe erlebt. Sie erforschte Arten, mit Farbe umzugehen, die vorher nicht üblich gewesen waren. Bei der Schaffung ihrer Werke geht es um Schnelligkeit. Die Farbe wurde direkt aus der Dose gegossen oder aus der Tube gespritzt. Sie kombinierte verschiedene Techniken miteinander und integrierte Objekte wie Farbverschlüsse in ihre Bilder. Ihre späteren Werke, so auch „Break-off“, zeigen gegossene oder gemalte Kreise und geometrisch anmutende Formen, die über den Bildrand hinausgehen und dadurch ein bewusstes Ungleichgewicht schaffen. So scheint das Werk nach links zu kippen, oder? Ayres‘ Werke sind nicht figurativ, sondern stellen die Welt durch ihre Augen dar. Mit all ihren Formen und Farben.
Wie würde die Welt durch Ihre Augen aussehen?
In den 1950er und 60er Jahren war Gillian Ayres eine der wichtigsten Künstler*innen Großbritanniens. Bereits als junge Erwachsene nahm sie nach Abschluss ihres Studiums am Camberwell College of Arts an Ausstellungen teil. Es folgte ihre erste Einzelausstellung in der Londoner Gallery One. Kurz darauf gelang ihr der Durchbruch mit ihren Gemälden in der Ausstellung „British Painting in the 60s“ in der Whitechapel Art Gallery in London.
Text: Michelle Pytel
Eingesprochen von: Matthias Albrecht, Nadine Kleinken
Aufnahme und Schnitt in Kooperation mit dem Making Media Space im Digital Learning Lab der Universität Bielefeld.
Angriffe auf Hiroshima und Nagasaki. Zerstörung und Wiederaufbau. Politische Zustände, die die Arbeit der zu jener Zeit lebenden Künstler*innen weltweit prägten. Bilder wurden immer wieder übermalt, neue Bilder geschaffen und damit auch neue Maltechniken. Michael Wests Maltechnik zeichnete sich durch den unmittelbaren und dynamischen Einsatz von Farbe in der Art der Aktionsmalerei aus. Sie trug die Farbe direkt mit der Tube auf und benutzte ein Malmesser, um die Leinwand vorher aufzurauen. Ihre intuitive gestische Pinselführung und die energetischen Linien gepaart mit dem Zufall bilden den Tanz in Dancing Figure. So dynamisch und voller Bewegung der Farbauftrag in dem Werk aussieht, so könnte auch West bei der Erschaffung dieses Werks ausgesehen haben. Die Künstlerin setzte während des Entstehungsprozesses ihren gesamten Körper ein und brachte ihre Emotionen über Bewegungen auf die Leinwand. Ihre Malerei konnte nur dann großartig sein, wenn sie vollkommen abstrakt war.
Was hat die Künstlerin wohl während des Malens empfunden?
Wests Pinselstriche folgten dem lebendigen und spielerischen Ausbruch aller Konventionen und Erwartungen der Gesellschaft. Sie stellen auch eine Kritik an die Geschlechternormen der damaligen Zeit dar. Als Frau in der Kunst-Szene angesehen zu werden, stellte eine große Herausforderung dar. West wollte allein aufgrund ihrer Kunst und nicht aufgrund ihres Geschlechts anerkannt werden. So nahm die als Corinne Michelle West geborene Künstlerin einen männlichen Namen an und arbeitete seither unter dem Pseudonym Michael West.
Text: Michelle Pytel
Eingesprochen von: Nadine Kleinken
Aufnahme und Schnitt in Kooperation mit dem Making Media Space im Digital Learning Lab der Universität Bielefeld.
Die deutschstämmige Künstlerin Marie-Louise von Rogister ergänzt mit ihrer Arbeit die Ausstellung um eine weitere deutsche Position. Ab den 1960er Jahren schaffte die Künstlerin mit ihren Geflechtbildern den Durchbruch in der Kunst-Szene. Vor lichtem Grau, Bötersheim VIII zeigt unterlegte Farbflächen mit darüberliegenden geflechtartigen Strukturen. Im Vordergrund sind gekreuzte schwarze linienartige Strukturen erkennbar. Dahinter schimmern farbige Flächen in changierenden Grau-Blau-Tönen bis hin zu Ockertönen hindurch. Die schwarzen Linien gruppieren sich um einen ockerfarbenen Punkt in der Mitte des Bildes. Beim genaueren Hinsehen werden auch an anderen Stellen des Werks ockerfarbene Pinselstriche sichtbar, an denen die Linien zusammentreffen und Knotenpunkte bilden. Die Strukturen überführen die körperliche Geste ins Bild. Der Hintergrund mit seinen sanften, weichen Farben bildet einen Kontrast zu den harten, schwarzen Linienstrukturen im Vordergrund.
Sind in den Linien auch Baustrukturen wie Balken oder Kreuze erkennbar? Immer wieder lässt sich eine Räumlichkeit in ihren Arbeiten finden. Insbesondere von Rogisters Einsatz der schwarzen Farbe entwickelte sich im Laufe ihres Schaffens. Während sie die Farbe anfangs noch flächig auftrug, bekam sie in späteren Werken eine eigene Struktur. Die Arbeiten der Künstlerin wurden oft in Serien angefertigt und stechen durch ihre kleinen Formate heraus.
Text: Michelle Pytel
Eingesprochen von: Charlotte-Sophie Laege
Aufnahme und Schnitt in Kooperation mit dem Making Media Space im Digital Learning Lab der Universität Bielefeld.
7 Uhr morgens in einer Großstadt. Hektik, Trubel, Menschen auf dem Weg zur Arbeit. Ist es das, was die Künstlerin Sonja Sekula mit ihrem Werk „7am“ ausdrücken will?
Lässt sich oben mittig im Bild die Skyline von New York entdecken? Könnte die aquädukt ähnliche Brücke unten rechts vielleicht die „High Bridge“ sein? – New Yorks älteste Brücke, die die Stadtteile Manhattan und Bronx verbindet.
Die in Luzern geborene Künstlerin Sonja Sekula emigrierte 1936 mit ihren Eltern nach New York, wo sie schnell Teil der künstlerischen Avantgarde um die im Exil lebenden Surrealisten André Breton und Marcel Duchamp wurde. Sekula entwickelte inspiriert vom Surrealismus und von der nordamerikanischen Folklore, einen Stil, in dessen Zentrum abstrakte Muster und Linien standen. Immer wieder malte Sekula auch großformatige Bilder, in denen die New Yorker Stadtlandschaft gezeigt wird. Mittels transparenter Farbschichten schuf Sekula dabei imaginäre mehrperspektivische Räume, in die sie mit Farbkreide oder Bleistift zeichnerische Strukturen einfügte, die an Gebäude oder Brücken erinnern und den Bildraum öffnen. Während Sekulas Zeit in New York wurden ihre Werke in vielen Ausstellungen gezeigt, unter anderem auch in der Betty Parsons Gallery oder der Galerie von Peggy Guggenheim. In den 1950er Jahren kehrte Sekula, deren Leben zunehmend von psychischen Krisen geprägt war, in die Schweiz zurück, wo sie aber kaum Anerkennung für ihre Kunst bekam, da diese für die europäischen Sammler*innen als zu „amerikanisch“ galt. Erst in den 1990er und frühen 2000er Jahren erhielten Sekulas Werke auch in Europa zunehmend Ansehen und Aufmerksamkeit.
Text: Charlotte-Sophie Laege
Eingesprochen von: Charlotte-Sophie Laege
Aufnahme und Schnitt in Kooperation mit dem Making Media Space im Digital Learning Lab der Universität Bielefeld.
„Bei genauerem Hinsehen kann man in meinen Werken in gewisser Weise starke Bilder ausmachen, die definitiv figurativ sind, aber einen abstrakten Charakter haben. Und um dorthin zu gelangen, bin ich auf Erkundungen, Experimente und eine reine Liebe gegenüber dem Material angewiesen.“
Jay DeFeos Arbeitsweise war gekennzeichnet durch detaillierte Beobachtungen von Materialien und Experimenten mit verschiedensten Medien und Techniken. Sie arbeitete mit unterschiedlichen Mitteln wie Tüchern, Schnüren oder Gips. Farbe war für sie nicht nur Farbe, sondern ein veränderbares Material. Inspiriert von den Beat-Künstler*innen, -Dichter*innen und -Jazzmusiker*innen, denen sie sich nach ihren Reisen durch Europa und Nordafrika Anfang der 1950er Jahre anschloss, weisen ihre Werke Rebellion und Radikalität auf. Sie löste sich von den Vorgaben des abstrakten Expressionismus und erfand sich immer wieder neu. Ihre Werke schaffen eine Verbindung aus Gegenständlichkeit und Abstraktion. Erkennen Sie eine Figur in dem Werk Torso? Torso spiegelt den Verlust des menschlichen Ausdrucks wider, der die Kunstgeschichte prägte. So zeigt das Werk einen reduzierten und verstümmelten Körper. Dieser wird durch die Pinselstriche verdichtet und aufgelöst, sodass sich das Abbild lediglich erahnen lässt. DeFeos Werke lassen sich nicht in eine einzige Stilrichtung einordnen. Sie umfassen ein vielgestaltetes Gesamtwerk aus verschiedenen Medien wie der Fotografie, Plastik und der Malerei.
Text: Michelle Pytel
Eingesprochen von: Nadine Kleinken, Matthias Albrecht
Aufnahme und Schnitt in Kooperation mit dem Making Media Space im Digital Learning Lab der Universität Bielefeld.
Was ist hier zu sehen?
Gesprayte Farbe, zerdrückte Metallteile und ein paar schwarze Kleckse.
Manche Menschen erinnert die Form an einen Panzer. Mit einer langen, nach rechts zeigenden Haubitze. Das Material unterstützt diesen Eindruck. Aber ob es wirklich ein Panzer sein? Wir können es nicht sagen.
Die italienische Künstlerin Carol Rama hat sich die Kunst selbst beigebracht. Mit 27 Jahren hat sie ihre erste Einzelausstellung in einer Turiner Galerie. Das war 1945, der Zweite Weltkrieg ist gerade zu Ende. Weil die Künstlerin zu viel Sexualität zeigt, wird die Ausstellung verboten.
In ihren Werken verwendet Carol Rama häufig Material aus dem Fahrradgeschäft ihres Vaters, zum Beispiel Fahrradschläuche und andere Gummiteile. Die Metallteile könnten also von dort stammen. Zeitlebens hat die Künstlerin sich mit ihrem dominanten Vater auseinandergesetzt. Das Verhältnis war schwierig bis schlimm. Später stellte sie sich dieser Art Männlichkeit entgegen, die einer Frau kaum mehr als den Status eines Objekts zugesteht.
Porträt via Wikimedia Commons, Pino Dell’Aquila, Carol-Rama (cropped), als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons
Text: Matthias Albrecht
Eingesprochen von: Nadine Kleinken
Aufnahme und Schnitt in Kooperation mit dem Making Media Space im Digital Learning Lab der Universität Bielefeld.
Ölfarbe und Metallfolie ergeben den Blick in eine verschneite Berglandschaft. Oder?
„Alles war wie eine Vision, wie eine noch nicht verwirklichte Möglichkeit. Wenn man das malen will, muss man den Ausdruck finden, der die Atmosphäre heraufbeschwört und die Wirkung der Farben unterstreicht. Nichts Naturalistisches.“
Nichts Naturalistisches. Das hat Anna-Eva Bergman selbst über ihre Kunst gesagt. Was meinen Sie?
Naturalistisch bedeutet ja, dass abgebildet wird, was zu sehen ist. Sind denn hier keine Berge zu sehen?
Vielleicht, wenn Sie von weiter weg schauen. Es sind Formen, die vielleicht an Berge in Norwegen erinnern. Abstrakt. Es sind keine bestimmten Berge. Sondern so etwas wie „Berge an sich“. Das klingt recht philosophisch. Und ist es auch! Es geht Anna-Eva Bergman um etwas, was man vielleicht als Grundformen der Natur bezeichnen könnte. Berge gehören dazu.
Dieser Künstlerin gelingt es auf wunderbare Weise, mit sehr wenigen Mitteln den Eindruck einer Berglandschaft zu erzeugen, finden Sie nicht? Jeden Fels, jeden Stein, jede mit Schnee bedeckte Fläche meinen wir zu sehen.
Aber diesen Eindruck, diese Illusion, bricht Anna-Eva Bergman ganz bewusst: Indem das, was wir für eine Landschaft halten könnten, sich wie ausgeschnitten von der grundierten Leinwand abhebt, macht sie klar, dass es hier um keine traditionelle Landschaftsdarstellung geht.
Porträt via Wikimedia Commons, Unknown author, Anna-Eva Bergman, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons
Text: Matthias Albrecht
Eingesprochen von: Matthias Albrecht, Nadine Kleinken
Aufnahme und Schnitt in Kooperation mit dem Making Media Space im Digital Learning Lab der Universität Bielefeld.
Wie ist diese Zeichnung entstanden?
Können Sie dem Lauf der Farbe in Franciszka Themersons Arbeiten nachspüren?
Die aus Polen stammende Künstlerin hat schwarze und rote Emaillefarbe direkt auf das Papier gegossen. Anschließend hat sie das Papier angehoben und gekippt. Manchmal nahm sie ein Malmesser, also einen sehr schmalen Spachtel, zu Hilfe, um die Linien zu dirigieren. So sind locker geschwungene Formen entstanden, die an handgemalte Buchstaben oder andere Formen erinnern. Es sind Experimente, bei denen der Zufall eine wichtige Rolle spielt.
Erst im Anschluss hat sie diesen improvisierten Zeichnungen Titel gegeben, zum Beispiel hier den des griechischen Buchstabens Omega.
Franciszka Themerson hat auch mit anderen Materialien experimentiert. An anderer Stelle in unserer Ausstellung haben Sie vielleicht schon das Relief „Capricious Growth“ von 1961 entdeckt. Dafür hat sie Gips genutzt. Sie können es an seinem schwarz und rot gestrichenen Holzrahmen erkennen.
Schon in Polen war Themerson auf viele Arten künstlerisch aktiv. Mit ihrem Mann Stefan, der Schriftsteller war, drehte sie Kurzfilme, später arbeitete sie auch als Illustratorin für die gemeinsam herausgebrachten Bücher. Das Ehepaar hatte bis 1940 in Paris gelebt, von dort flohen sie vor den Nationalsozialisten nach London.
Porträt via Wikimedia Commons, IdziRzymianin, Stefan Themerson28, CC BY-SA 4.0
Text: Matthias Albrecht
Eingesprochen von: Nadine Kleinken
Aufnahme und Schnitt in Kooperation mit dem Making Media Space im Digital Learning Lab der Universität Bielefeld.
Bice Lazzaris Kompositionen strahlen Ruhe und Gelassenheit aus. Ihre Werke beinhalten blasse Farben und lose lineare Elemente. Sie experimentierte mit Materialien, nutzte vor allem Sand und Leim. Dies mischte sie mit Öl und in ihren späteren Jahren auch mit Acryl, was ihr noch mehr Möglichkeiten eröffnete. Im Zuge ihrer Auseinandersetzung mit gestalterischen Fragestellungen während ihres kunstgewerblichen Studiums an der Accademia di belle arti di Venezia, fand sie ihren Weg zur Abstraktion. Lazzari sticht heraus durch ihre reduzierte Abstraktion. Im Vordergrund des Werkes Ohne Titel von 1963 stehen das Material und die Beobachtung, wie verschiedene Materialien sich zueinander verhalten. Ihre Werke bis in die 1960er Jahre hinein wurden als vollkommen materialistisch beschrieben. Die Formensprache ist sehr pointiert und minimalistisch, sie setzt ihren Fokus hier auf ein einziges Element. Ihr Stil bildet eine Abkehr von der geometrischen und mathematischen Strenge hin zu freieren Formen.
Text: Michelle Pytel
Eingesprochen von: Nadine Kleinken
Aufnahme und Schnitt in Kooperation mit dem Making Media Space im Digital Learning Lab der Universität Bielefeld.
Eine Geste. Sie erinnert an geschwungene Buchstaben oder Wörter. Aus dem Grau des Hintergrunds taucht sie plötzlich auf. Wie aus dem Nebel. Als wäre sie in den Raum geschrieben. Nur Schwarz auf Weiß.
Nadia Saikali hat sie im Jahr 1960 auf die Leinwand aufgetragen. Die so genannte „Malerei mit Buchstaben“ wurde in den 1960er und 70er Jahren das häufigste Ausdrucksmittel in der arabischen Welt. Kalligrafie oder grafische Zeichen und Handschriften waren ihre Grundlage. Junge Künstler*innen wollten ihre kulturellen Wurzeln finden und sich von den in vielen arabischen Ländern damals vorherrschenden Vorstellungen und Werten des Westens lösen. Nadia Saikali stammt aus dem Libanon. Die Kalligrafie spielt in islamisch geprägten Kulturen eine große Rolle, da sie das Individuum dem Koran – und damit dem Wort Gottes – näherbringt. Dies geschieht, indem Koranverse auf besonders schöne Art verschriftlicht werden.
Bei Nadia Saikalis Arbeit handelt es sich nicht um einen Vers aus dem Koran. Aber der Bezug auf die Kalligrafie ist auch für sie ein starkes Symbol für Identität und Bedeutung.
Text: Matthias Albrecht
Eingesprochen von: Matthias Albrecht
Aufnahme und Schnitt in Kooperation mit dem Making Media Space im Digital Learning Lab der Universität Bielefeld.
„Zwischen 1959 und 1962 […] verblüffte Ohtake alle mit einer Reihe ausgezeichneter Werke, die ich ohne zu zögern als den Höhepunkt der informellen Abstraktion in Brasilien bezeichnen würde […] Die Arbeiten wurden sorgfältig und langsam angefertigt, Schicht um Schicht, in einem fortwährenden und unnachgiebigen Dialog zwischen Schichtauftrag und Überlagerung, Auflösung und Wiederherstellung, Fleck und Tilgung […] und zwischen verschatteten und beleuchteten Bereichen.“
Dieses Zitat des Kunsthistorikers Frederico Morais gibt uns einen Einblick in die Arbeitsweise der unfreiwillig aus Japan nach Brasilien ausgewanderten Künstlerin Tomie Ohtake. Unfreiwillig, weil sie 1937 nur einen Bruder besuchen wollte. Die aufflammenden Kämpfe im Pazifik zwischen Japan und China verhinderten jedoch ihre Rückkehr.
Haben Sie das Violett gleich bemerkt? Es ist so konzentriert aufgetragen, dass es beinahe schwarz wirkt. Kreisformen mit zerklüfteten Rändern sind häufig im Werk dieser Künstlerin. Sie experimentiert gern – manchmal steht sie mit verbundenen Augen vor der Staffelei.
Ab den 1960er Jahren ist sie mit ihrer Kunst weltweit erfolgreich.
Foto via Wikimedia Commons, Wagner T. Cassimiro „Aranha“, 20080814 Tomie Ohtake-2 (2762559939), CC BY 2.0
Text: Matthias Albrecht
Eingesprochen von: Charlotte-Sophie Laege, Nadine Kleinken
Aufnahme und Schnitt in Kooperation mit dem Making Media Space im Digital Learning Lab der Universität Bielefeld.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war Deutschland eine Ruinenlandschaft. Viele Städte lagen in Trümmern, die Infrastruktur war zerstört, das Land in vier Besatzungszonen aufgeteilt. Der Alltag der Menschen war geprägt von Armut und den körperlichen und psychischen Folgen des Krieges.
Nicht nur die Menschen, auch die Kunst in Deutschland litt unter den Folgen des Krieges. Der Zweite Weltkrieg und der Nationalsozialismus hatten das freie gesellschaftliche Leben und den künstlerischen Austausch zum Erliegen gebracht. Die Kunstzentren der Weimarer Republik gab es nicht mehr, viele deutsche Künstler*innen waren ins Ausland emigriert.
Es war also an der Kunst, sich neu zu erfinden und die kulturelle Identität Deutschlands neu zu definieren.
Auch die aus Detmold stammende Künstlerin Hedwig Thun erfand nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ihre Kunst neu. Bereits 1921 waren Thuns Werke in der Bielefelder Kunstgewerbeschule ausgestellt worden. In den 1930er Jahren studierte sie am Dessauer Bauhaus, wo sie Unterricht bei Wassily Kandinsky, Paul Klee und Josef Albers erhielt. Es folgten Ausstellungen in Bremen, Hamm, Dresden und Hamburg und schließlich im MoMa in New York. Was so verheißungsvoll für Thun begonnen hatte, endet plötzlich mit Beginn des Zweiten Weltkrieges.
Nach dem Ende des Krieges begann Thun erst Ende der 1940er Jahre wieder zu malen und knüpfte mit ihren Arbeiten an geometrisch-abstrakte Aquarelle aus der Bauhaus-Zeit an. Mitte der 1950er Jahre wurden ihre Arbeiten schließlich freier. Mehr und mehr widmete sie sich dem gestischen Umgang mit Farbe und Form und begann in dieser Zeit auch mit verschiedenen Dripping-Techniken zu experimentieren.
1969 wurde Thuns Spätwerk, wozu auch das Werk „Dodona“ aus dem Jahr 1962 zählt, in der Kunsthalle Bielefeld im Rahmen einer Einzelpräsentation in der Studiengalerie des Hauses ausgestellt – ein Jahr nach Eröffnung der Kunsthalle. Das Werk schließt also unter neuen Vorzeichen an die historische Ausstellungsgeschichte der Kunsthalle an.
Text: Charlotte-Sophie Laege
Eingesprochen von: Charlotte-Sophie Laege
Aufnahme und Schnitt in Kooperation mit dem Making Media Space im Digital Learning Lab der Universität Bielefeld.