Play, Life, Illusion. Xanti Schawinsky + Monster Chetwynd „Xanti Shenanigans“

Die Kunsthalle Bielefeld präsentiert vom 15. März bis 15. Juni 2025 die Ausstellung „Play, Life, Illusion. Xanti Schawinsky“ mit der Intervention “Xanti Shenanigans“ von Monster Chetwynd.

Die Ausstellung ist die erste umfassende Retrospektive des frühen Bauhauskünstlers Alexander „Xanti“ Schawinsky (1904-1979) in Deutschland seit über 35 Jahren. Schawinskys multidisziplinäre Arbeit ist geprägt vom Geist des Bauhauses, wo der Künstler in den 1920er Jahren studierte, und des Black Mountain College, wo er in den 1930er Jahren unterrichtete. Zu den gestalterischen Mitteln, mit denen der Künstler in den sechs Jahrzehnten seines Wirkens experimentiert hat, gehören Inszenierung, Bühnenbild, Fotografie, Grafikdesign, Malerei und Typografie. Die Ausstellung lässt seine gesamte Karriere Revue passieren, von seinen frühen Werken, die von Fragen des Bühnenraums und der Beziehung zwischen Mensch und Maschine geprägt sind, bis hin zu seinen prozessorientierten Gemälden aus den 1950er und 1960er Jahren. Als Teil der Ausstellung wird Monster Chetwynd (*1973) die raumgreifende Installation „Xanti Shenanigans“ konzipieren, die auf Schawinskys Arbeit Bezug nimmt.

 

 

Die Ausstellung entsteht in Kooperation mit dem Mudam Luxemburg – Musée d’Art Moderne Grand-Duc Jean in Zusammenarbeit mit dem Nachlass von Xanti Schawinsky.

Gastkurator: Raphael Gygax

Die Ausstellung wird gefördert von der Kulturstiftung Kunsthalle Bielefeld und der Kulturstiftung Dr. Dagmar Nowitzky.

Medienguide


Willkommen bei „Xanti Shenanigans“! Die britische Künstlerin Monster Chetwynd hat diese farbenfrohe Installation geschaffen, inspiriert von Xanti Schawinskys experimentellem Geist.

Diese großformatigen, bunten Stoffbahnen entstanden durch eine besondere Technik: Die Künstlerin fuhr mit einem Auto durch Farbe und dann über die Stoffe. Das ist eine Anspielung auf Schawinskys eigene „Track Paintings“. Schawinsky wollte die Grenzen der Malerei erweitern und hatte deshalb in den 1950er Jahren die Idee, mit dem Auto Bilder zu malen.

Wirf mal einen genaueren Blick auf die Materialien: Chetwynd verwendet bewusst einfache, alltägliche Stoffe wie Baumwolle und Leinen, die sie mit kräftigen, leuchtenden Acrylfarben bearbeitet. Typisch für ihre Arbeitsweise ist der Verzicht auf Perfektion – die spontanen Spuren, Abdrücke und Überlagerungen sind gewollt und zeigen ihren prozesshaften Ansatz: Wir sollen sehen, wie die Künstlerin vorgegangen ist. Die Beschaffenheit der Oberflächen lädt förmlich dazu ein, die Bewegung nachzuempfinden, mit der sie entstanden sind.

Chetwynd ist bekannt für ihre farbenfrohen, karnevalesken Performances und ihre eher  wenig perfekte Ästhetik des Selbstgemachten. Sie arbeitet oft mit einem festen Ensemble aus Freund*innen und Familienmitgliedern zusammen, die meisten davon keine professionellen Darsteller. Diese kollaborative Arbeitsweise spiegelt ihre Überzeugung wider, dass Kunst zugänglich und gemeinschaftlich sein sollte. Zur Ausstellungseröffnung verwandelte sie die Eingangshalle in eine lebendige Bühne – ganz im Sinne von Schawinskys eigenen Theaterexperimenten am Black Mountain College. Mit handgemachten Kostümen, lebhafter Musik und improvisiertem Tanz brachten die Performer*innen die Ausstellung zum Leben.

„Shenanigans“ bedeutet übrigens so viel wie „Streiche“ oder „Unfug“ – ein Hinweis auf Chetwynds respektvolle, aber scherzhafte Herangehensweise an Schawinskys Erbe. Sie scheut sich nicht vor Humor und dem Absurden, was ihre Kunst besonders lebendig macht. Die rohen, fast kindlichen Elemente in ihrer Ästhetik sind kein Zufall, sondern eine bewusste Entscheidung gegen den oft elitären Kunstbetrieb.

Ich interessiere mich für die Wiederentdeckung von Geschichten, die fast vergessen wurden,“ sagt Chetwynd. Mit dieser Installation schafft sie eine Brücke zwischen dem experimentierfreudigen Bauhausgeist Schawinskys und unserer Gegenwart – voller Energie, Farben und Spielfreude.

 

Text: Matthias Albrecht
Eingesprochen von: Matthias Albrecht
Aufnahme und Schnitt: Matthias Albrecht, Nadine Kleinken (Digitale Museumspraxis Kunsthalle Bielefeld)

Xanti Schawinsky am Bauhaus

So war das Leben am Bauhaus in den 1920er Jahren: Ein Ort voller kreativer Energie, wo Kunst, Design und Experiment Hand in Hand gingen. Für den jungen Xanti Schawinsky war es eine Zeit intensiver Inspiration und neuer Freundschaften.

Während des Tages besuchte er Kurse bei den so genannten Bauhaus-Meistern, also den Professoren, wie László Moholy-Nagy, Wassily Kandinsky und Paul Klee.
Bei Kandinsky wurde gezeichnet und der Bereich der Farbe erforscht,“ erinnerte sich Schawinsky später. „Wir bauten große Stillleben auf, Zusammenstellungen von auf den ersten Blick gar nicht zusammengehörigen Gegenständen.“

Abends trafen sich die Studierenden in ihren Ateliers im Prellerhaus, dem Wohngebäude des Bauhauses. Eine prägende Begegnung für Schawinsky war die mit Kurt Schmidt:
„Eines Tages sagte jemand im Vorbeigehen: ‚Willst du heute Abend in mein Atelier kommen? Acht Uhr. Dritter Stock, Prellerhaus. Kurt Schmidt. Einige Freunde.’“
Diese flüchtige Einladung führte zu einer kreativen Zusammenarbeit im experimentellen Theater.

Gemeinsam mit Freunden wie Herbert Bayer und Marcel Breuer spielte Schawinsky auch in der legendären Bauhaus-Kapelle Jazz. Bauhausfeste waren berühmt – vom „Metallischen Fest“ bis zu spontanen Kostümpartys. In dieser gemeinschaftlichen Atmosphäre verwischten die Grenzen zwischen Arbeit und Spiel, zwischen den Kunstformen und zwischen Lehrenden und Studierenden.

 

Text: Matthias Albrecht
Eingesprochen von: Matthias Albrecht
Aufnahme und Schnitt: Matthias Albrecht, Nadine Kleinken (Digitale Museumspraxis Kunsthalle Bielefeld)

Zusatzmaterial: Video das die Tiller-Girls (1930) zeigt.

 

Transkription des Audios

„Ich war fasziniert von der rhythmischen Präzision, ließ mir eiserne Beschläge an den Schuhsohlen befestigen und wollte es mit Jazz-Musik zur Virtuosität treiben. Dann entwarf ich mehrere Stepp-Maschinen-Figurinen – eine Art mechanisierter Stepp-Apparat, doch in der Abstraktion an die menschliche Figur angelehnt, als Gegenpart des befrackten Stepp-Tänzers mit chapeau clacque. Daraus entstanden einige Szenen in unseren Aufführungen; die Inspiration aus Amerika war nicht zu leugnen. Tiller-Girls, Jazz, Stepp[tanz], das Banjo, Saxophon, die Schlagzeug-Batterie, die Black-Spirituals und ihre Lyrik. Wer konnte sich diesem Westwind entziehen? […]“

In diesem Zitat spiegelt sich Xanti Schawinskys Begeisterung für den Stepptanz und die damals neue Musik aus den USA . Für mehrere Bühnenstücke erfand er die „Steppmaschine“. Hier sind die Vorzeichnungen zu einem Gemälde, das sie zeigt, zu sehen. Die Maschine gab es aber auch als gebautes Objekt: Sie bestand aus einer abstrakten Figur aus Holz, Farbe und Metall mit zwei klopfenden Füßen, die den rhythmischen Stepptanz erzeugten.

Die Komposition der Maschine ist typisch für das Bauhaus: Aus wenigen geometrischen Formen wie einem Zylinder, Rechtecken und Kreisen hat Schawinsky eine Figur konstruiert, die an einen tanzenden Menschen erinnert. Er streckt einen Arm von sich und neigt den Kopf zur Seite. Rechts neben der Maschine steht ein Mann in Zylinder und Frack.

Welche Figur wirkt auf dich lebendiger? Der Mensch oder die Maschine?
Xanti Schawinsky scheint hier die Rollen vertauscht zu haben, findest du nicht auch?

Im Zitat erwähnt Schawinsky die Tiller-Girls. Das war am Anfang des 20. Jahrhunderts eine weltweit erfolgreiche Tanzgruppe. Sie machte auch in Deutschland häufiger Station. Weiter unten haben wir eine Aufnahme einer Aufführung dieser Tänzerinnen aus dem Jahr 1930 verlinkt.

 

Text: Matthias Albrecht
Eingesprochen von: Nadine Kleinken
Aufnahme und Schnitt: Matthias Albrecht, Nadine Kleinken (Digitale Museumspraxis Kunsthalle Bielefeld)

„Die Inszenierung [drehte sich] um Olga, unsere [neue] Balletttänzerin[…]. Sie erschien als unmögliche Julia auf dem Balkon und erhielt von mehreren Romeos ein Ständchen. Als die Szene zu Adam und Eva wechselte, gab es einen Schuss und einen Mord, der von den Darstellern unbemerkt blieb. Die Kulissenwände wurden wieder verschoben […]. Ab und zu wurde ein Wort gesprochen, mehr um des Effekts willen als um des Sinns willen, denn das Wort hatte keinen Bezug zu den Ereignissen. Über einen großen Lautsprecher wurde immer wieder die gleiche dreiminütige Grammophonaufnahme abgespielt.“, Xanti Schawinsky, um 1970

Ein weiß geschminkter Mann mit Tirolerhut, Spitzbart und Badehose: So spielt Xanti Schawinsky in seinem Stück mit. Die Hauptfigur wird gespielt von Manda von Kreibig, Tänzerin und Ballettmeisterin am Landestheater Darmstadt und am Stadttheater Nürnberg. In weiteren Rollen sind die Bauhaus-Kollegen Oskar Schlemmer, Hermann Röseler und T. Lux Feininger zu sehen. Das Stück „Olga, Olga“ wird im Rahmen des Faschingsballs im Bauhaus am 21.2.1928 mit großem Erfolg aufgeführt. Es macht deutlich, worum es Xanti Schawinsky in seiner Arbeit geht:

Das Bauhaus-Theater sollte kein Ort für große Tragödien sein – Schawinsky wollte keine Neuinterpretation ernster Theaterstücke erarbeiten, sondern eine spielerische Auseinandersetzung mit der modernen Welt. Die Darsteller spielten aus dem Moment heraus und improvisierten. Die Bühnenstücke nahmen Elemente aus Technik, Design und Maschinenkultur oft mit einem Augenzwinkern auf. Mal wurden neue Materialien auf die Schippe genommen, mal die Rolle der Mechanisierung in der Gesellschaft hinterfragt – Themen, an denen am Bauhaus normalerweise ernsthaft gearbeitet wurde. Begleitet wurden die Stücke oft von minimalistischer Musik, die den Rhythmus der Bewegungen bestimmte.

„Die Aufführung war voll von Kitsch, Action und Tempo. Aber es gab keinen eindeutigen Sinn. Jede Interpretation blieb dem einzelnen Zuschauer überlassen. Das ist Äquilibristik: Man benutzt die Dinge des täglichen Lebens in Bezug auf die Phantasie, ohne auf irgendetwas eine Antwort zu geben. Man geht weiter – man springt mit seiner Idee aus dem Rahmen.“, Xanti Schawinsky, um 1970

„Olga Olga“ gilt als Vorläufer der in den 1960er Jahren entstehenden Performance-Kunst. Im Unterschied zu Oskar Schlemmers eher statischem skulpturalen Theater ist Schawinskys Arbeit von Dynamik und Zufälligkeit geprägt. Diese Art der Herangehensweise nutzt die Künstlerin Monster Chetwynd ebenfalls für ihre Performances. Deren Kulissen und Dokumentation findest du in der Eingangshalle und im Gartensaal der Kunsthalle. Bestimmt ist dir schon die Ähnlichkeit der Farben und Formen bei den genutzten Bühnenbauten aufgefallen. Monster Chetwynd bezieht sich in den hier gezeigten Arbeiten bewusst auf Xanti Schawinsky.

Oskar Schlemmers Arbeit ist auch in der Sammlung der Kunsthalle Bielefeld vertreten. Seine „Drahtfigur Homo“ war parallel zu Xanti Schawinskys Werk in der Ausstellung „Kontext: Bauhaus“ zu sehen. Hier geht es zum passenden Medienguide-Beitrag. Informationen zu unserem zweiten Werk von Oskar Schlemmer kannst du dir im KB Kosmos ansehen.

Text: Matthias Albrecht
Eingesprochen von: Nadine Kleinken
Aufnahme und Schnitt: Matthias Albrecht, Nadine Kleinken (Digitale Museumspraxis Kunsthalle Bielefeld)

Kannst du dir vorstellen, jetzt gleich spontan in einem Theaterstück mitzuspielen, während sich die Bühne ständig verändert?
Diese Arbeit ist mehr als nur ein Modell – sie ist eine Bühne für ein „Totaltheater“, in dem Farbe, Raum, Licht und Bewegung zusammenspielen. Farben, Formen und Linien bewegen sich – doch nicht von allein. Hinter ihnen verbergen sich Schauspieler, die sie steuern, mit ihnen interagieren und sie zum Leben erwecken. Denk kurz an deine Kindheit zurück: Wie du vielleicht mit bunten Bauklötzen gespielt hast, so experimentiert Schawinsky hier mit beweglichen Architekturelementen, die gedreht, verschoben und gekippt werden können.

Schawinsky hatte die Entwicklung dieser so genannten“Spectodramen“ bereits während seiner Zeit am Bauhaus begonnen, wo er von 1924 bis 1929 studierte und lehrte. Nach seiner Flucht aus Deutschland brachte Schawinsky diese revolutionären Ideen 1936 ans Black Mountain College in den USA, wo er mit seinen Studierenden multimediale Inszenierungen entwickelte.

Nimm dir einen Moment Zeit und stell dir vor, wie die Elemente in Bewegung geraten – so verwandelt sich Architektur in ein lebendiges Theatererlebnis.

Das Werk wurde mit Tempera, Bleistift, Tusche auf Papier erstellt.

 

Text: Matthias Albrecht
Eingesprochen von: Matthias Albrecht
Aufnahme und Schnitt: Matthias Albrecht, Nadine Kleinken (Digitale Museumspraxis Kunsthalle Bielefeld)

Hier siehst du sechs Blätter aus Schawinskys Mappe „The Album“. Xanti Schawinsky stellte sie nach seiner Zeit am Bauhaus zusammen.
Album? Das klingt ein wenig nach Fotoalbum, aber es ist mehr: Diese Mappe mit insgesamt 70 einzelnen Collagen fertigte der Künstler ab ca. 1929 an – möglicherweise entstand sie auch erst in den frühen 1930er Jahren oder sogar nach seiner Emigration in die USA 1936. Die Blätter sind nicht datiert.

Was ist nun das Besondere? Jedes Blatt ist eine eigenständige grafische Komposition. Schawinsky wählte Bilder aus verschiedenen Lebensphasen – Aufnahmen mit Bauhaus-Kolleg*innen, Freund*innen und Familie stehen neben Reiseeindrücken oder Vorbereitungs-Skizzen für die künstlerische Arbeit. Die Fotografien und Dokumente werden aber nicht einfach chronologisch aneinandergereiht, sondern künstlerisch arrangiert – ähnlich einer Vorlage für ein Druck-Layout.

Neben dem experimentellen Umgang mit dem Bildmaterial bleibt aber eine klare Strukturierung erhalten. Darin zeigt sich unverkennbar die Bauhaus-Prägung. „The Album“ gibt uns einen tiefen Einblick in Schawinskys Leben am Bauhaus und darüber hinaus. Es ist zugleich persönliches Erinnerungsstück und künstlerische Arbeit, die er später in den USA am Black Mountain College fortsetzte.

 

Text: Matthias Albrecht
Eingesprochen von: Matthias Albrecht
Aufnahme und Schnitt: Matthias Albrecht, Nadine Kleinken (Digitale Museumspraxis Kunsthalle Bielefeld)

Seine Zeit nach dem Bauhaus

Vom Bauhaus über Italien in die USA

Nach seiner Flucht aus Deutschland 1933 ließ sich Xanti Schawinsky in Mailand nieder, wo er beim neu gegründeten Werbestudio Boggeri als Grafikdesigner arbeitete. Die Bauhaus-Prägung blieb in seinen Arbeiten unverkennbar: Seine klare, funktionale Formensprache und der experimentelle Umgang mit Typografie revolutionierten die italienische Werbegrafik der 1930er Jahre. Seine innovativen Entwürfe für namhafte Unternehmen wie Illy Caffé, Cinzano und Olivetti trugen maßgeblich zum internationalen Renommee des Werbestudios bei.

In Italien bewegte sich Schawinsky auf politisch heiklem Terrain. Er entwarf zwar auch linientreue Werke wie ein Propagandaplakat zum zwölften Jahrestag der so genannten „faschistischen Revolution“, das Mussolini als „Kopf der Masse“ darstellte. Dennoch wurde seine Position als jüdisch-polnischstämmiger Künstler zunehmend gefährdet, als sich Italien dem nationalsozialistischen Deutschland annäherte.

1935 verließ Schawinsky Italien. Nach seiner Hochzeit mit Irene von Debschitz in London emigrierte er 1936 in die USA. Dort setzte er seine Karriere am renommierten Black Mountain College fort. Hier lehrte er Zeichnen und Farbenlehre und brachte mit multimedialen Installationen die neuen Ideen der Bauhausbühne in die Vereinigten Staaten.

Das Werbeplakat ist ein Offsetdruck.

 

Text: Matthias Albrecht
Eingesprochen von: Matthias Albrecht
Aufnahme und Schnitt: Matthias Albrecht, Nadine Kleinken (Digitale Museumspraxis Kunsthalle Bielefeld)

Während du dieses Foto betrachtest, frag dich mal: Was sind Momente, in denen alle Menschen gleich sind – egal ob königlich oder bäuerlich?

Der „Totentanz“ war ursprünglich ein mittelalterliches Bildmotiv, das zeigte, wie der Tod unterschiedslos alle Menschen abholt. Schawinsky transportierte diese Idee in seinem Stück „Danse Macabre“ in die moderne Welt.

Bei der Aufführung am Black Mountain College 1938 saßen die Zuschauer*innen im Kreis um eine Arena-ähnliche Bühne. Sie waren selbst in dunkle Umhänge des Todes gehüllt. Das Stück präsentierte zwölf Charaktere – vom König und Kardinal bis zum einfachen Arbeiter und Kind – die alle dem Tod begegnen.

Was diese Arbeit so besonders macht: Schawinsky verband hier seine Bauhaus-Erfahrung mit neuesten Entwicklungen im Bereich des Theaters. Die Musik von John Evarts und Texte aus mittelalterlichen Totenmessen wie dem „Dies Irae“ unterstrichen die ernste Atmosphäre.

 

Text: Matthias Albrecht
Eingesprochen von: Nadine Kleinken
Aufnahme und Schnitt: Matthias Albrecht, Nadine Kleinken (Digitale Museumspraxis Kunsthalle Bielefeld)

Transkript des Audios siehe ganz unten.

Zusatzinformationen:

Die Ambivalenz des Krieges

Der Hintergrund besteht aus einem Farbverlauf von einer Farbe zu Weiß zu einer weiteren Farbe. Es wirkt ein wenig so, als schwebten die „Faces“ vor einem ziemlich unecht aussehenden Himmel. Die Spannung zwischen den kräftigen Farben und dem verstörenden Inhalt ist besonders faszinierend an „The Soldier“ . Dieser Zwiespalt spiegelt Schawinskys komplexe Haltung zum Krieg wider.
Hast du schon einmal bemerkt, wie oft wir im Alltag widersprüchliche Gefühle erleben? Wie ein Film uns gleichzeitig unterhalten und beunruhigen kann? Oder wie technologischer Fortschritt unser Leben verbessert und gleichzeitig neue Probleme schafft? Genau diesen Zwiespalt fängt Schawinsky in seinem Werk ein.

Eine neue Ausdrucksform

„The Soldier“ markiert einen deutlichen Bruch mit Schawinskys früheren, optimistischeren Arbeiten. Während er am Bauhaus und später am Black Mountain College spielerische und experimentelle Kunstformen entwickelte, zeigen dieses Werk und die anderen der Serie eine grundlegende Verunsicherung.

Das Werk wurde mit Wasserfarbe, Tempera und Buntstift auf Papier erstellt.

 

Transkript des Audios

„Diese fröhlich bunten und zugleich verstörenden Mensch-Maschinen sprechen von einem sehr ambivalenten Blick auf den Krieg.“ Mit diesen Worten beschrieb Xanti Schawinsky selbst die Werke seiner Serie „Faces of War“, zu der auch „The Soldier“ von 1942 gehört.

Als Schawinsky „The Soldier“ schuf, lebte er bereits seit vier Jahren in New York. Die Jahre 1941 und 1942 markierten für ihn eine intensive Auseinandersetzung mit dem Zweiten Weltkrieg. Er arbeitete unter anderem für die US-Luftwaffe und entwarf dort Tarnmuster – eine Tätigkeit, die sein künstlerisches Schaffen nachhaltig beeinflusste.

Während Schawinsky in relativer Sicherheit in Amerika lebte, erhielt er beunruhigende Nachrichten aus Europa: Sein Bruder geriet in Gefangenschaft, nachdem er gegen die Nazis gekämpft hatte. Seine Mutter starb aus Sorge um ihren Sohn. Viele seiner Freunde und Verwandten in Deutschland waren „restlos verschwunden oder umgebracht worden“, wie er es selbst formulierte.

„The Faces of War“ zeigen hybride Wesen – halb Mensch, halb Maschine. Das menschliche Gesicht ist aus technischen Elementen gebildet.

Denk an deine eigenen Erfahrungen mit Technologie: Vielleicht ist dein Smartphone schon fast zum Teil deines Körpers geworden? Dein Auto oder Fahrrad ist sicher eine Erweiterung deiner Bewegungsfähigkeit. Doch Schawinskys Hybrid geht weiter – hier verschmilzt der Mensch nicht mit einer nützlichen, sondern mit einer zerstörerischen Technologie. Es sind nur wenige Werke, in denen er so direkt auf das politische Geschehen reagiert. Aber mit ihnen schuf er ein eindrucksvolles Zeugnis der Entmenschlichung durch den Krieg – ein Thema, das leider nichts von seiner Aktualität verloren hat.

 

Text: Matthias Albrecht
Eingesprochen von: Nadine Kleinken
Aufnahme und Schnitt: Matthias Albrecht, Nadine Kleinken (Digitale Museumspraxis Kunsthalle Bielefeld)

„Camouflaged Outpost“, auf Deutsch „Getarnter Außenposten“, markiert einen Wendepunkt in Schawinskys künstlerischer Entwicklung. Während des Zweiten Weltkriegs entwarf er Tarnmuster für die amerikanische Luftwaffe – eine Erfahrung, die sein künstlerisches Schaffen nachhaltig prägte.

Das Konzept der Tarnung spiegelt Erfahrungen wider, die du vielleicht kennst: Wie oft versuchen wir selbst, unsere wahren Gefühle zu verstecken oder uns anzupassen? Hier im Gemälde wird Kriegsgerät getarnt: Ein Geschütz, das vermutlich für die Flugabwehr eingesetzt wird, ist überlagert von Farbflächen in Rot-, Grün- und Blautönen.

Von der klaren Bauhaus-Ästhetik in Schawinskys früheren Werken ist wenig übrig. Stattdessen begegnen dir nun traumartige Landschaften und verzerrte Perspektiven. Diese surrealistischen Elemente wurden sehr wahrscheinlich von Giorgio de Chirico beeinflusst. Dessen  ernst wirkende Bilder mit leeren Plätzen und langen Schatten beeindruckten Schawinsky . Die Künstler waren einander in den 1940er Jahren begegnet.

In diese neue Werkphase gehört auch die Serie „Faces of War“. In ihr schuf Schawinsky hybride Porträts, die menschliche Gesichter mit technischen oder organischen Strukturen verbanden – ein deutlicher Bruch mit der Unbekümmertheit seiner früheren Werke.

Das Werk wurde mit Aquarell, Tempera und Farbstift auf Papier erstellt.

 

Text: Matthias Albrecht
Eingesprochen von: Matthias Albrecht
Aufnahme und Schnitt: Matthias Albrecht, Nadine Kleinken (Digitale Museumspraxis Kunsthalle Bielefeld)

Stell dir das einmal bildlich vor: Xanti Schawinsky befestigte saugfähige Platten an seinen Schuhen, tauchte diese in weiße Farbe und tanzte dann – begleitet von Musik – über die Leinwand. Jeder Schritt, jede Drehung und jeder Sprung hinterließ eine einzigartige Spur.

Denk  an deine eigenen Fußabdrücke im Sand am Strand oder im Schnee. Ähnlich flüchtig sind die Spuren, die wir alle im Leben hinterlassen – nur selten werden sie verewigt wie hier. Doch Verewigung war nicht Schawinskys Hauptziel. Er wollte eine andere Malerei. Während seines ganzen Lebens experimentierte er mit neuen Möglichkeiten Bilder zu erschaffen, jenseits des Pinsels Dabei orientierte er sich an Künstler*innen des Abstrakten Expressionismus wie Helen Frankenthaler oder Jackson Pollock. Sie waren nach dem Zweiten Weltkrieg ebenfalls auf der Suche nach neuen Möglichkeiten für die Malerei.

„Der Totalität kann man sich annähern durch eine verstärkte Mobilisierung der körperlichen Ressourcen“, schrieb Schawinsky 1969 in seinem Aufsatz „About the Physical in Painting“. Er wollte die Grenzen der traditionellen Malerei sprengen und seinen ganzen Körper als Werkzeug einsetzen. Damit gilt er als Vorläufer der später so bezeichneten Performancekunst, bei der der Körper und die mit ihm ausgeführte Handlung das Medium der Kunst sind.

In „Danza Blanca“ siehst du nicht nur ein Bild, sondern das Echo eines einmaligen Tanzes – eine Aufzeichnung der Bewegung, die nie wieder genau so wiederholt werden kann.

 

Text: Matthias Albrecht
Eingesprochen von: Nadine Kleinken
Aufnahme und Schnitt: Matthias Albrecht, Nadine Kleinken (Digitale Museumspraxis Kunsthalle Bielefeld)

 

Zweites Audio zu Xantis Aufsatz „About the Physical in Painting“ (1969).

Transkript zum ersten Audio

Ein Künstler bei der Arbeit. Er malt und tanzt zugleich!
Es ist kein gewöhnlicher Akt des Malens, sondern eine performative Kunstaktion.

Zwischen 1956 und 1960 entwickelte Schawinsky diese revolutionäre Technik als Teil seiner künstlerischen Erforschung des „Physischen in der Malerei“. Anstatt traditionell mit Pinsel und Staffelei zu arbeiten, befestigte er Farbblöcke an seinen Füßen. Er legte die Leinwand auf den Boden und bewegte sich tanzend darüber. Diese spontanen, rhythmischen Bewegungen hinterließen Farbspuren in zufälligen Mustern – ein direkter Abdruck seiner körperlichen Präsenz und Bewegung.

Schawinsky selbst beschreibt sein Vorgehen in einem Brief 1962 so:
„[…] Der Gedanke [sitzt] in jedem Muskel, in jeder Faser und in jeder Bewegung […] deren der Mensch fähig ist – und dass das Wort eher vermag, diesen Gedanken vielleicht zu illustrieren, mit gut Glück. Das Bildliche ist jedoch direkt; ohne Umweg über die Illustration, und kann mit den wenigsten Mitteln und in der Beschränkung auf ein winziges Alphabet ein universelles Erlebnis hervorrufen.“

 

Transkript zum zweiten Audio

Muss der Pinsel das wichtigste Werkzeug in der Malerei sein?
Lass uns einen Moment über diese Kunstform nachdenken. Xanti Schawinsky wollte die Malerei radikal neu denken. 1969 veröffentlichte er einen Essay mit dem Titel „About the Physical in Painting“, auf Deutsch etwa „Über das Physische (oder Körperliche) in der Malerei“. Darin formuliert er neue Wege, wie Gemälde entstehen können. Er orientierte sich dabei an Künstler*innen wie Yves Klein oder Jackson Pollock. Beide waren bekannt dafür, Malerei nicht nur als ein Bild auf einer Leinwand zu begreifen, sondern als eine körperliche, fast theatralische Handlung. Der Prozess war für sie genauso wichtig wie das fertige Kunstwerk selbst.

Ganz ähnlich sah es Schawinsky. Er sprach von einer „Totalität“ in der Kunst – einer Malerei, die den gesamten Körper einbezieht, die neue Werkzeuge erfindet und die den Herstellungsprozess als ebenso wichtig wie das fertige Bild begreift. In seinem Essay erklärt er in zehn Punkten, wie diese neue Art von Malerei entstehen könnte. Sie funktionieren fast wie eine Anleitung.

Warum ist das so spannend? Weil es den Gedanken aufgreift, dass Kunst nicht immer von Künstler*innen selbst geschaffen werden muss. Indem Xanti Schawinsky seine Methoden als „Anleitung“ formuliert, könnte theoretisch jede Person seine Ideen weiterführen – der Künstler tritt zurück, die Vorstellungskraft der Betrachtenden rückt in den Mittelpunkt. Dieses Prinzip ähnelt den Ideen der Konzeptkunst in den 1960er-Jahren.

Xanti Schawinsky wollte also nicht nur neue Bilder schaffen – er wollte unser Verständnis davon, was Malerei ist, von Grund auf verändern. In seinen Arbeiten lässt er diesen Gedanken durch Farbe, Bewegung undExperiment lebendig werden. Was wäre dein … Experiment mit Malerei?

 

Text: Matthias Albrecht
Eingesprochen von: Nadine Kleinken
Aufnahme und Schnitt: Matthias Albrecht, Nadine Kleinken (Digitale Museumspraxis Kunsthalle Bielefeld)

Wenn du mit einem Auto durch eine Pfütze fährst, hinterlässt du auf dem trockenen Asphalt dahinter feuchte Reifenspuren. Genau diesen alltäglichen Vorgang hat Xanti Schawinsky für seine Kunst genutzt!

„Come Closer“ aus dem Jahr 1960 ist Teil seiner Serie „Track Paintings“. Für diese Werke fuhr der Künstler tatsächlich mit seinem Sportwagen durch schwarze Ölfarbe und dann kreuz und quer über leuchtend vorbemalte Leinwände, die auf dem Boden ausgelegt waren.

Was du hier siehst, sind also keine mit dem Pinsel erzeugten Linien, sondern echte Reifenspuren eines Autos – vielleicht das Symbol des technologischen Fortschritts des 20. Jahrhunderts. Der Titel „Come Closer“ sagt: Tritt näher und entdecke die dynamischen Spuren dieser ungewöhnlichen künstlerischen Aktion!

Nachdem Xanti Schawinsky zuvor mit seinen „Dance Paintings“ über Leinwände getanzt war, ersetzte er nun seinen Körper durch ein Auto.

 

Text: Matthias Albrecht
Eingesprochen von: Nadine Kleinken
Aufnahme und Schnitt: Matthias Albrecht, Nadine Kleinken (Digitale Museumspraxis Kunsthalle Bielefeld)

Rauch als Malwerkzeug: Schawinskys Smoke Paintings

Hast du schon einmal beobachtet, wie Rauch aus einer Kerze aufsteigt und dabei feine, sich ständig verändernde Muster in der Luft zeichnet? Oder wie sich Rußteilchen an einer Glasscheibe absetzen? Genau dieses alltägliche Phänomen hat Xanti Schawinsky in den 1960er Jahren zu einer ausgefeilten künstlerischen Technik entwickelt.

Für seine „Smoke Paintings“ von 1964 verwendete Schawinsky außer zum Grundieren der Leinwände keinen Tropfen Farbe! Stattdessen fing er Rauch ein und fixierte die feinen Rauchspuren direkt auf Holzfaserplatten. Kunstvoll ließ er den flüchtigen Rauch zu dauerhaften, faszinierenden Mustern erstarren.

Diese experimentelle Technik entstand in seiner späten Schaffensphase, in der er weiter daran arbeitet, die Grenzen traditioneller Malerei zu überwinden. Nach seinen Tanz-Gemälden und Auto-Gemälden erforschte er nun, wie man ohne Pinsel und Farbe Bilder erschaffen kann.

Die „Smoke Paintings“ spiegeln Schawinskys lebenslange Faszination für das Vergängliche und seine Fähigkeit, alltägliche Phänomene in poetische Kunstwerke zu verwandeln. Sie machen sichtbar, was normalerweise unsichtbar bleibt.

 

Text: Matthias Albrecht
Eingesprochen von: Nadine Kleinken
Aufnahme und Schnitt: Matthias Albrecht, Nadine Kleinken (Digitale Museumspraxis Kunsthalle Bielefeld)

Schicht für Schicht: Schawinskys Spray Paintings
Hast du schon einmal ein Blatt Papier mehrfach gefaltet oder es zerknüllt und dann darauf gemalt? Genau dieses Prinzip nutzte Xanti Schawinsky für seine „Spray Paintings“ der 1960er Jahre.

Er nahm seine Leinwände, faltete sie mehrmals und besprühte sie dann mit feinen Farbschichten. Wenn er die Leinwand anschließend wieder entfaltete, entstanden überraschende Muster und Farbverläufe – fast wie ein Tintenklecks-Spiel, das du vielleicht aus der Kindheit kennst oder aus dem Kunstunterricht. Die vielen Farbschichten erzeugen eine beeindruckende Tiefenwirkung. Schawinsky entwickelte die Technik über 20 Jahre lang, seit den 1940ern.

In seiner „Eclipse“-Serie erschuf er mit dieser Technik dann beinahe dreidimensional wirkende Bilder.  Die Inspiration dazu war das persönliche Erlebnis einer
„Eclipse“ – oder Sonnenfinsternis, wie es auf Deutsch heißt. 1966 hatte Schawinsky sich ein Haus am italienischen Lago Maggiore gebaut. In seinen Werken spiegelt sich jetzt das Naturerlebnis der alpinen Bergwelt wider.

Diese experimentelle Technik zeigt nochmals, wie sehr sich Schawinsky sein Leben lang für neue Wege der Malerei interessierte. Statt traditionell mit Pinsel und Staffelei zu arbeiten, erforschte er, wie Farbe und Leinwand auf ungewöhnliche Weise interagieren können – fast wie in einem Spiel.

 

Text: Matthias Albrecht
Eingesprochen von: Matthias Albrecht
Aufnahme und Schnitt: Matthias Albrecht, Nadine Kleinken (Digitale Museumspraxis Kunsthalle Bielefeld)

Transkript des Audios siehe ganz unten.

Zusatzinformationen:

Die Kunst der Illusion: Verwandte Techniken im Bühnenbereich

Seit Jahrhunderten nutzt das Theater verschiedene Techniken, um Illusionen zu erzeugen und das Publikum in seinen Bann zu ziehen. Diese Techniken haben sich mit der technologischen Entwicklung stetig weiterentwickelt, wobei einige traditionelle Methoden bis heute Anwendung finden. Im Folgenden werden die wichtigsten verwandten Techniken im Bühnenbereich erläutert, die zur Schaffung visueller Illusionen eingesetzt werden.

Pepper’s Ghost: Eine viktorianische Illusionstechnik mit moderner Anwendung

Die wohl bekannteste historische Illusionstechnik im Bühnenbereich ist „Pepper’s Ghost“, eine Methode, die bereits 1862 von Professor John Henry Pepper populär gemacht wurde. Diese Technik sorgte damals für Sensation, als sie erstmals am Heiligabend 1862 bei einer Aufführung von Charles Dickens‘ „The Haunted Man and the Ghost’s Bargain“ präsentiert wurde und selbst der zukünftige König Edward VII. beeindruckt war.
Das Grundprinzip von Pepper’s Ghost besteht in der Verwendung einer großen Glasscheibe, die in einem bestimmten Winkel zur Bühne positioniert wird. Wenn ein hell beleuchteter Schauspieler unterhalb oder seitlich der Bühne platziert wird, erscheint sein Spiegelbild auf der Glasscheibe und für das Publikum entsteht der Eindruck eines transparenten Geistes auf der Bühne. Durch einfaches Ausschalten des Scheinwerfers kann der „Geist“ augenblicklich verschwinden.
In modernen Anwendungen wird diese Technik häufig mit Videoprojektion kombiniert. Anstatt lebende Schauspieler zu verwenden, werden Aufnahmen auf einen Bildschirm projiziert, dessen Reflexion dann im Glas erscheint. Diese Technik findet heute vielfältige Anwendung in Freizeitparks, Museen und sogar bei Konzerten, wo sie fälschlicherweise oft als „holografisch“ bezeichnet wird.

Halbtransparente Spiegel und Spiegelfolien

Eine verwandte Technik, die häufig auf Bühnen eingesetzt wird, sind halbtransparente Spiegel oder auch sogenannte One-Way- oder Spionagespiegel. Diese sind auf einer Seite spiegelnd und auf der anderen Seite durchsichtig, was besondere visuelle Effekte ermöglicht.
Im Bühnenkontext werden solche halbtransparenten Spiegel häufig mit Lichteffekten kombiniert. Für die Zuschauer erscheint eine glänzende Oberfläche oder ein Spiegel, hinter dem Lichteffekte, Lichtpunkte, Schatten und dreidimensionale Effekte erzeugt werden können, was zu faszinierenden optischen Illusionen führt. Eine wichtige Voraussetzung für diese Technik ist, dass der Bereich, aus dem beobachtet wird, dunkler ist als der Bereich, der beobachtet werden soll.

Projection-Mapping: Dreidimensionale Illusionen

Eine modernere Technik, die in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen hat, ist das Projection-Mapping. Hierbei handelt es sich um das formgenaue Projizieren von Bildern auf nicht-flache Oberflächen, was im Theaterbereich unzählige Möglichkeiten bietet.
Mit Projection-Mapping kann das Bühnenbild verändert werden, ohne dass Bühnenarbeiter physisch eingreifen müssen. Es ermöglicht die Schaffung surrealer Umgebungen und bietet neue Wege der Immersion für das Publikum. Diese Technologie wird in verschiedenen Kontexten eingesetzt:

  1. Bühnenmapping: Hierbei werden Projektionen über mehrere Ebenen auf der Bühne und im gesamten Veranstaltungsraum angewendet. Dies kann als Eröffnungseffekt, als Übergangselement oder zur Untermalung von Präsentationen dienen.
  2. Element Mapping: Einzelne Objekte können durch Projektion zum Leben erweckt werden, wie beispielsweise „The Cube“, eine Kombination aus 3D-Projektionsmapping und künstlerischer Performance.
  3. Architektur- und Fassadenmapping: Hier wurde die Technik zuerst angewandt. Gebäude erhalten eine bunte Oberfläche oder werden mit Animationen zum Leben erweckt.

Unabhängig von den spezifischen Techniken: Die Illusion ist ein fundamentales Element des Theaters. „Ohne Illusion gibt es kein Theater, ohne Illusionsvermögen wird Theater zu einer faden und bisweilen faulen Angelegenheit“.

 

Transkript des Audios

Beweg dich einmal vor diesem Werk nach links und rechts, während du es betrachtest. Achte genau darauf, wie es sich dadurch verändert. Spannend, oder?

Was du siehst, ist eine optische Illusion. Für dieses Werk spannte Xanti Schawinsky eine Schicht Gaze – ein feines, durchsichtiges Gewebe – über eine Leinwand und besprühte sie mit Farbe. Dadurch entstehen schwebende Parallelogramme, die sich je nach deinem Standpunkt verwandeln.

Mit seinen Gaze-Bildern gestaltete Xanti Schawinsky kein ein unbewegliches Objekt, sondern einen sich wandelnden Raum, der dich als Betrachtende aktiv einbezieht. Was du siehst, hängt davon ab, wo du stehst. Diese einfache Erkenntnis macht „Untitled“ fast zu einem Sinnbild für Schawinskys lebenslange künstlerische Forschung zu Raum, Bewegung und Wahrnehmung.

Übrigens ist Xanti Schawinskys Verwendung von Gaze zur Erzeugung von optischen Wirkungen in der Kunst einmalig. Im Bereich des Theaters hingegen wird noch heute etwas ähnliches genutzt: Halbtransparente Spiegelfolien werden zusammen mit Lichteffekten oder Projektionen eingesetzt, um optische Illusionen zu erzeugen. Dabei entsteht für die Zuschauer*innen eine glänzende Oberfläche, mit der Lichteffekte, Schatten und 3D-Effekte erzeugt werden können. Unten kannst du mehr darüber erfahren.

 

Text: Matthias Albrecht
Eingesprochen von: Matthias Albrecht
Aufnahme und Schnitt: Matthias Albrecht, Nadine Kleinken (Digitale Museumspraxis Kunsthalle Bielefeld)

Gallerie

Schwarz-weiß-Foto eines Mannes in karriertem Hemd. Er hält einen Stift in der rechten Hand, mit der er auf etwas außerhalb des Bildes zeigt. Hinter ihm sitzen erwachsene Schüler und zeichnen etwas.
Xanti Schawinsky als Lehrer am Black Mountain College, Foto (Detail): Helen M. Post, um 1937, © Helen M. Post
Im Hintergrund ein vertikaler Farbverlauf von schwarz über beige zu rot-orange. Darauf verschiedenartige Formen in verschiedenen Farben, vorrangig in Blau- und Rottönen. Dazwischen mit dünnen Linien gezeichnete Objekte, die an einen Scheinwerfer und Kanonenrohr erinnern.
Xanti Schawinsky, Camouflaged Outpost, 1942, Wasserfarbe, Tempera und Bundstift auf Papier, mit freundlicher Genehmigung des Xanti Schawinsky Estate
Die Bildoberfläche sieht aus wie zerknülltes und wieder ausgebreitetes Papier. Links ist es orange eingefärbt, im Rest des Bildes blau.
Xanti Schawinsky, Incontro II, 1968, Sprühfarbe und Acrylfarbe auf Leinwand, mit freundlicher Genehmigung des Xanti Schawinsky Estate
Eine Person in einer großen Papiertüte. Sie trägt einen glitzernden Bodysuit und weiße Streifen im Gesicht. Im Hintergrunnd auch Papierbahnen. Diese und die Papiertüte sind faltig und in den Falten blau und rot gefärbt.
Performance "Xanti Shananigans" von Monster Chetwynd im Mudam, Foto: Makoto Okubo
v.l.n.r.: Monster Chetwynd, Christina Végh (Direktorin Kunsthalle Bielefeld), Laura Rehme (Kunsthalle Bielefeld), Dr Raphael Gygax (Gastkurator) vor einem abstrakten Gemälde
Kunsthalle Bielefeld Ausstellung Play, Life, Illusion. Xanti Schawinsky + Monster Chetwynd „Xanti Shenanigans“ Monster Chetwynd, Christina Végh (Director Kunsthalle Bielefeld), Laura Rehme (Kunsthalle Bielefeld), Dr Raphael Gygax (Guest curator) Foto: Philipp Ottendörfer
Schwarz-weiß-Foto von fünf Menschen auf einer Bühne. Alle tragen schwarz und darüber Konstrukte aus weißen breiten Streifen. Bei zwei Personen hängen die Streifen über den ganzen Körper nach unten. Bei zwei weiteren sind sie in stehenden Schleifen um den Körper gewickelt.
Xanti Schawinsky, Untitled, undatiert, ca. 1936, Schwarz-Weiß-Fotografie, mit freundlicher Genehmigung des Xanti Schawinsky Estate